Die Praktikantin
Siezen aufhören. Das ist doch nicht mehr witzig.«
»Finden Sie, Frau Renner? Aber als Sie damals …«
»Johann, es reicht.«
Ihre Stimme hörte sich an, als seien wir seit sechs Jahren verheiratet. Keine schlechte Vorstellung.
»Elisabeth …«
»Elisabeth was?«
»Elisabeth, das ist sehr schön, dass das geklappt hat. Das freut mich wirklich für alle Beteiligten, insbesondere natürlich für die Autorin.«
Ich vermied die direkte Anrede, wie man es sonst bei Personen tut, von denen man nicht mehr genau weiß, ob man sie siezt oder duzt. Oder bei den Schwiegereltern, die einem gerade das Klaus und Ulrike angeboten haben.
»Wenn du nicht sofort irgendeinen Satz mit Du sagst …«
»Dann?«
»… dann lade ich dich nicht zur Preisverleihung ein.«
»Wann ist die denn?«
»In einem Monat.«
»Und wo?«
»In Hamburg. Du musst kommen, Johann. Kommst du?«
»Aber nur, wenn du mich den ganzen Abend siezt.«
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|246| SECHSUNDDREISSIG
Ich könnte jetzt so tun, als wäre ich nach diesem einmaligen Ausrutscher zu meinem Telefonzölibat zurückgekehrt. Es wäre die größte Lüge auf den vergangenen 244 Seiten. In Wahrheit war mir kein Anlass zu gering, um Elisabeths Nummer zu wählen. Vor allem, nachdem sie in einem unserer neuen nächtlichen Telefonate die entscheidenden Worte gesagt hatte.
»Ist es nicht schön, Johann, dass wir jetzt ganz ungezwungen miteinander sprechen können? Jetzt, wo du nicht mehr mein Chef bist?«
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Für mich war sie immer meine Praktikantin geblieben.
»Stimmt eigentlich, Elisabeth, aber wenn man den Verlag als Ganzes betrachtet, bin ich immer noch ein Chef und du …«
Ja, du. Ich hatte das Sie nach dem ersten Gespräch, das über die psychologisch wichtige Dreistundengrenze hinausgegangen war, endgültig abgelegt.
»… und du bist eine Praktikantin.«
»Aber wenigstens haben wir völlig verschiedene Kostenstellen. Und befehlen kannst du mir gar nichts mehr, du toller Chefredakteur.«
Das war leider auch richtig. Der neue Mann in ihrem Leben war ausgerechnet Ulf, mein Nachfolger in der Politikredaktion der
Metro-News
. Er hatte mich zwei Wochen nach ihrem Praktikumsstart angerufen und sich überschwänglich für Elisabeth bedankt. »Wir sehen hier viele junge Leute durchlaufen, Johann, das kennst du ja noch von früher.« Er machte eine Pause. »Aber so eine wie die Elisabeth, also ich meine die Frau Renner, die trifft man nur sehr selten.«
Ich befürchtete, dass sich Geschichte eben doch wiederholte |247| und Ulf sich nicht daran halten würde, Kolleginnen derselben Kostenstelle in Ruhe zu lassen. Als ich Elisabeth darauf ansprach, sagte sie nur: »Man darf nicht immer von sich auf andere schließen, Johann.«
»Aber er hat von dir als Elisabeth gesprochen.«
»Der Ulf …«, sie lachte dreckig.
»Der was?«
»Mein neuer Chef spricht alle mit Vornamen und Sie an. Also auch
seine
Praktikantinnen.«
Mir wurde schlecht.
»Aber zur Preisverleihung nehme ich trotzdem nur dich mit. Ich habe dich offiziell als meine Begleitung angegeben.«
Damit gab es für unser Verhältnis den ersten schriftlichen Beweis. Ich sollte sicherheitshalber eine Rechtschutzversicherung abschließen.
»Und deine Eltern?«
»Die können nicht, zum Glück.«
Ihre Mutter war mir übrigens am Tag nach meiner Rückkehr aus München in der
Welt von Buddha und Shiv a
begegnet, als ich Frau van Daggelsen um die Rechnung für meinen Freund bat (der teuerste Buddha kostete 585 Euro!).
»Herr Walder, schön, dass ich Sie einmal treffe«, hatte sie gesagt.
»Ebenso«, antwortete ich, wie ich es immer tue, wenn ich einem Menschen gegenüberstehe, der mich offensichtlich kennt, den ich aber noch nie gesehen (oder schon wieder vergessen) habe.
»Sie kennen mich nicht. Ich bin die Mutter von Elisabeth, und ich wollte mich bei Ihnen ganz herzlich für alles bedanken, was Sie für meine Tochter getan haben.« Sie strahlte mich an, als hätte es die schlimme Beinahe-Vergewaltigung im roten Blitz nie gegeben. »Es ist ein großes Glück, dass Elisabeth Sie getroffen hat.«
»Das ist es für uns beide«, antwortete ich und sah, wie sich |248| Frau Renner senior und Frau van Daggelsen verschwörerische Blicke zuwarfen.
»Meine Mutter war von Anfang an davon überzeugt, dass du etwas von mir willst«, sagte Elisabeth, als ich ihr später von der Begegnung erzählte.
Nicht dumm, die Frau. Hatte mir ja auch lange genug am Telefon zugehört. Elisabeth
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