Die Praktikantin
eine SMS. Sie war von Sonja. Wir hatten seit ihrer Abreise nicht miteinander gesprochen, weil sie beruflich in den USA gewesen war.
»Hallo, Engelchen. Gibt es etwas Neues? Kuss, S.«
Ich wartete, bis der Zug in München angekommen war und der Taxifahrer mich zu der Adresse gebracht hatte, die Johann |235| mir gegeben hatte, als er noch mit mir redete. Dann rief ich Sonja an.
»Du bist wo?«, war ihre erste Frage.
»Du hast doch gehört, wo ich bin: in München, in der Wohnung von Johann.«
»Von Johann? Was ist denn aus Herrn Walder geworden, deinem Chef mit den schlimmen kleinen Händen?« Sonja juchzte. »Der ist wohl noch einmal schnell unter die Dusche geschlüpft, bevor …«
»Er ist überhaupt nicht hier.«
»Wie, er ist nicht da? Ich denke, ihr seid in seiner Wohnung, und …«
»Ich bin in seiner Wohnung, Sonja. Er hat sie mir überlassen, bis ich in München etwas anderes gefunden habe. Morgen fange ich bei den
Metro-News
an.«
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Warte mal, ich bin gleich wieder da.«
Es dauerte zehn Sekunden, dann hörte ich Sonjas Stimme erneut.
»Ich musste mir ein Glas Wein holen. Also, ich fasse zusammen: Der Herr Walder, der auf einmal Johann ist, hat dir einen Job bei den
Metro-News
…«
»… erst einmal ein Praktikum …«
»… ein Praktikum bei den
Metro-News
besorgt, dir seine Wohnungsschlüssel übergeben, dich nach München fahren lassen und ist allein in Wützen geblieben.«
»Ich weiß nicht, wo er ist, Sonja.«
»Wie, du weißt nicht, wo er ist? Ihr habt doch quasi eine Standleitung und …«
»Ich habe seit drei Tagen nichts mehr von ihm gehört. Er antwortet nicht einmal auf SMS, in denen ich ihn duze.«
Ich erzählte Sonja von dem Besuch bei Struck, dem seltsamen Abschied im Auto, dem steifen Händedruck und Johanns plötzlicher Zurückgezogenheit.
|236| »Ich habe ihn gefragt, was mit ihm los ist, aber …«
»O nein, Elisabeth, mein Akku ist leer. Kann ich dich in einer halben Stunde …«
Dann war sie weg. Ich zog meine Jacke aus, hängte sie an die Garderobe, von der sonst nur ein Regenschirm herunterbaumelte. Ich hatte mir die Wohnung noch gar nicht richtig angesehen. Der Flur war lang und mit dunklem Laminat ausgelegt. An der einen Wand hing ein Bild, auf dem ich erst nichts und beim näheren Hinsehen Goethes Gartenhaus in Weimar erkennen konnte (okay, es stand rechts unten in der Ecke). Vom Flur gingen sechs Türen ab. Durch die erste war ich gegangen, als das Gespräch mit Sonja begonnen hatte. Ich hatte mich in der Küche auf einen dieser Designerstühle aus Holz und Korb gesetzt, deren Namen ich immer vergesse. Im Kühlschrank gab es naturtrüben Apfelsaft, Wasser mit Kohlensäure und eine unüberschaubare Auswahl an Smoothies. Ich nahm einen mit fünfzig Prozent Bananen- und fünfzig Prozent Erdbeerkonzentrat, staunte über die vielen anderen Lebensmittel, die hier lagerten und von denen die meisten längst abgelaufen sein mussten, und ging mit meiner Vitaminbombe durch die Wohnung.
Die hatte etwas von einem Themenpark. Johann schien jeden Raum unter ein Motto gestellt zu haben. Der Mittelpunkt des Schlafzimmers war nicht ein zwei Meter breites Bett, sondern eine alte Kommode, aus der er eine Art Altar mit sechs verschiedenen Buddhastatuen gemacht hatte. Die größte war bestimmt dreißig Zentimeter hoch. An den Wänden hingen asiatische Schriftzeichen, unter der Decke baumelte ein Windspiel. Frau van Daggelsen hätte den Raum nicht besser einrichten können.
Das Esszimmer war ganz in Blau und Weiß gehalten. Auf dem massiven Tisch stand eine längliche Schale mit weißem Sand, in der Muscheln, Robben aus Plastik, Holzfische und flache Steine lagen. An den Wänden hingen Bilder von sechs verschiedenen Leuchttürmen, ein kleines Exemplar war auf der Fensterbank. |237| Ich drückte auf den Knopf am Sockel, und das Licht begann sich zu drehen.
Von der Küste ging es über den Flur in den Orient. Der Boden des Wohnzimmers war komplett mit Schaffellen bedeckt, an denen noch die Preisschilder klebten. Auf dem niedrigen Tisch stand eine Auswahl afrikanischer Holzschnitzereien, aus der ein Kamel herausragte. Der letzte Raum vor dem Badezimmer war mit Naturrasen ausgelegt und ansonsten, bis auf einen Liegestuhl und eine kleine Stereoanlage, leer. Ich hatte mich gerade hingesetzt, als mein Handy klingelte. Sonja.
»’tschuldigung, Engelchen, aber das Aufladen hat so lange gedauert. Also, wo waren wir stehengeblieben?«
Ja, wo?
»Ich
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