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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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versteht, woran sie glaubt, sondern warum sie es glaubt. Deshalb frage ich euch, wer ist der Höchste Gott?«
    Die Mädchen schauten sich lange verdutzt an, als wären sie nicht ganz sicher, ob ich meine Frage wirklich so meinte, noch weniger, ob ich sie an sie herangetragen hatte. Schließlich hob Lucretia, deren Familie Wolle exportierte, die Hand.
    »Jupiter ist der König unter den Göttern, deshalb hat der Kaiser das Bild auf seine Münzen prägen lassen.«
    »Aber die Christen sagen, dass alle Gottheiten außer dem Gott der Juden Dämonen sind«, warf Tertia, die Tochter des Schuhmachers, ein.
    »Das stimmt allerdings, und deshalb frage ich euch, wie viele Götter gibt es?«
    Das löste eine Diskussion aus, bei der alle durcheinander redeten, bis ich mit einem Handzeichen Schweigen gebot. »Ihr habt alle Recht, geht man von unserer Denkweise aus. Jedes Land und jeder Bezirk hat seine Gottheiten, und im Imperium war es üblich, alle anzubeten. Aber überlegt einmal, unsere größten Philosophen und Dichter sprechen von einer höchsten Gottheit. Manche nennen diese Macht ›Natur‹, andere ›Äther‹, wieder andere ›der Höchste Gott‹. Der Dichter Maro sagt:

    » Merke eins, dass Himmel, Erde und das Meer,
    des Mondes bleiches Rund, der Sterne Heer,
    genähret sind von einer Seel',
    von einem Geist, des Himmelslicht,
    in keinem Wesen je erlischt,
    der Alles lenket ohne Fehl. «

    »Aber was ist mit der Göttin?«, fragte die kleine Portia und zeigte auf den Altar in der Ecke des sonnigen Zimmers, das wir als Klassenraum benutzten. Dort brannte immer eine Lampe vor dem Relief der matronae . Wenn niemand bei mir war, tätschelte ich zuweilen den Kopf des Hundes auf dem Schoß der vierten Mutter und spürte seine Wärme und Weichheit, als wäre Hylas zu mir zurückgekehrt.
    Ich lächelte, denn ich hatte gehofft, dass eine Schülerin diesen Standpunkt zur Sprache brächte.
    »Gewiss ist es sinnvoller, die Höchste Macht als weiblich zu betrachten, wenn man überhaupt eine Gottheit einem Geschlecht zuordnen muss, denn die Frau schenkt das Leben. Selbst Jesus, von dem die Christen behaupten, er sei der Sohn Gottes oder sogar Gott selbst gewesen, musste von Maria geboren werden, ehe er Menschengestalt annahm.«
    »Ja, natürlich!«, antwortete Portia. »Daher kommen auch die Helden und Halbgötter - Herkules und Aeneas und die anderen alle.«
    »Aber die Christen sagen, dass ihr Jesus der Einzige war«, stellte Lucretia fest. Die anderen Mädchen dachten kopfschüttelnd über diesen Mangel an Logik nach.
    »Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen«, sagte ich, als die Diskussion stockte. »Pythagoras behauptet, die Höchste Macht sei ›eine Seele, die hin und her wandelt und in allen Bereichen des Universums verstreut wird, über die gesamte Natur, aus der alle Lebewesen entstanden sind und aus der sie ihre Lebenskraft beziehen‹. Das ähnelt den Lehren, die ich bei den Druiden gelernt habe, nur dass wir, wie gesagt, diese Macht eher als weiblich betrachten, wenn wir ihr überhaupt ein Geschlecht geben. Gesetzt den Fall, dass es sich so verhält«, fuhr ich fort und zeigte noch einmal auf die matronae , »warum fühlen wir uns dann genötigt, Bildnisse von einem Begriff herzustellen, der eigentlich nicht abgebildet werden kann, und ihn in Götter und Göttinnen aufzuteilen, denen wir Geschichten und Namen zuordnen? Selbst die Christen machen es so - sie behaupten, ihr Jesus sei der Höchste Gott, und trotzdem sind die Geschichten, die sie über ihn erzählen, genau wie unsere Heldengeschichten!«
    Ein langes Schweigen trat ein. Eigentlich war es ungerecht, diesen Mädchen eine Frage zu stellen, deren Lösung sich Theologen und Philosophen entzogen hatten. Aber vielleicht würden sie es leichter verstehen, gerade weil sie Frauen waren.
    »Ihr habt zu Hause doch Puppen, oder?«, fügte ich hinzu. »Aber ihr wisst, dass es keine echten Kinder sind. Warum liebt ihr sie?«
    »Weil…«, begann Lucretia zögernd nach einer weiteren Pause, »ich mich daran festhalten kann. Ich tue so, als wären sie die Kinder, die ich haben werde, wenn ich groß bin. Es ist so schwer, etwas zu lieben, das weder ein Gesicht noch einen Namen hat.«
    »Ich glaube, das ist eine sehr gute Antwort, was meint ihr?«, fragte ich und schaute in die Runde. »Mit unserem Verstand können wie den Höchsten Gott begreifen, aber solange wir in einem menschlichen Körper stecken und in dieser reichen, mannigfaltigen Welt leben, brauchen wir

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