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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Medaillons waren von Monumenten früherer Kaiser wie Hadrian, Trajan und Marc Aurel geplündert worden. Der Architekt hatte diesen Diebstahl damit begründet, dass er Konstantin als die Summe und Erfüllung des kaiserlichen Genies bezeichnete, doch als ich das Monument prüfend betrachtete, musste ich zugeben, dass die Ausführung von Konstantins Fries im Vergleich zu den anderen Reliefs sichtbar zu wünschen übrig ließ.
    Du warst zu eilig, mein Sohn , dachte ich bei mir. Du hast es nicht nötig, den Ruhm anderer Männer zu stehlen .

    Wie Sylvester erwartet hatte, war das Wort der Kaisermutter ein Befehl, den kein Beamter Roms zu missachten wagte. Auf dem Rückweg zum Palast zog ich einen Schleier an, um mich vor Ansteckung zu schützen, und befahl meinen Trägern, einen Umweg zu machen, damit ich mir das Krankenhaus ansehen konnte.
    Konstantin verbrachte nicht viel Zeit in Rom, doch er war bei der Schenkung von Kirchen großzügig gewesen. Statt Besitz von den größtenteils noch heidnischen Patriziern zu konfiszieren, hatte er die meisten auf kaiserlichem Gelände außerhalb der alten Stadtmauern bauen lassen. Im Jahr seiner Vermählung mit Fausta hatte er den kaiserlichen Lateranpalast, in dem sie geboren war, dem Patriarchen von Rom geschenkt. Nachdem er die Baracken von Maxentius' Reiterei hatte niederreißen lassen, hatte er seine erste Kathedrale neben dem Palast errichtet.
    Mir fiel der kleine Junge ein, der in unserem Garten so gern Festungen gebaut hatte, und ich erkannte, dass das Christentum für Konstantin unter anderem deshalb so reizvoll war, weil er die Möglichkeit erhielt, etwas Neues zu bauen.
    Etwas Neues, und das in großem Stil. Beim Betreten der Kathedrale fielen mir sogleich die riesigen Säulen auf, die das Schiff trugen, und die grünen Marmorpfeiler in den niedrigeren Arkaden der Seitenschiffe. Durch die hohen Fenster über der Apsis strömte Licht herein, das auf dem Silberfiligran des Lettners und auf den Statuen des Auferstandenen glitzerte, und über allem wachte Jesus als Lehrer, flankiert von Engeln.
    Doch als meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, vergaß ich alle Pracht. Im Hauptschiff selbst und in den Seitenschiffen hinter den Säulen zu beiden Seiten standen Pritschen dicht an dicht. Sie waren restlos mit Kranken belegt, die größtenteils entweder krächzten, an Erstickungsanfällen litten oder unheimlich still waren. Manche hatten eine Familie, die sich um sie kümmerte, doch für die meisten waren Priester und alte Frauen der christlichen Gemeinde da, die zwischen ihnen umhergingen und allen, die trinken wollten, Wasser gaben und den Sterbenden Trost spendeten. Beißender Gestank nach Blut und menschlichen Exkrementen drang mir in die Nase.
    Sylvester hatte mich zweifelnd angeschaut, als ich davon sprach, Hilfe leisten zu wollen. Jetzt sah ich, dass Hilfe nicht zu haben war, ehe diese Krankheit ihren Verlauf genommen hatte, und kein Wunder zu erwarten war außer der Tatsache, dass überhaupt jemand bereit war, diese Menschen zu pflegen. Gewiss waren nicht alle unter ihnen Christen. Für Sylvester zählte nur, dass es Menschen in Not waren. Nun wurde mir klar, warum dieser neue Glaube trotz aller Lücken und Ungereimtheiten seiner Theologie so stark geworden war.
    Ich blieb nicht lange. Der Patriarch, der mich bei meinem Eintreffen begrüßt hatte, erwartete es auch nicht und wandte sich bereits wieder seiner Arbeit zu, als ich die Kathedrale verließ. Auf der kurzen Strecke an den Stadtmauern entlang zum kaiserlichen Palast schwieg ich, und ich zog mich früh zurück, doch das Einschlafen wollte mir nicht gelingen.
    Wie die meisten Gebildeten Roms hatte ich die schlichte Inbrunst des Christentums belächelt. Doch diese Menschen bewiesen mehr Mitleid und mehr Mut als ich, die ich auf Avalon erzogen wurde. Ich schämte mich. Auch heute noch weiß ich nicht, ob es aus Scham oder Stolz geschah, dass ich mir am nächsten Morgen bei einer der Sklavinnen in der Küche ein Kopftuch und eine Tunika borgte und Cunoarda anwies, allen zu sagen, ich ruhte mich aus. Dann brach ich zur Kathedrale auf. Kaum war ich jedoch um die Ecke gebogen, als ich hinter mir Schritte vernahm. Es war Cunoarda.
    Sie setzte eine störrische Miene auf, als ich ihr befahl, wieder nach Hause zu gehen.
    »Herrin, ich muss gehorchen, aber wenn du mich zurückschickst, verspreche ich, allen zu erzählen, wohin du gegangen bist! Bitte - ich habe dein Gesicht gesehen, als du vom Besuch der

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