Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Janson
Vom Netzwerk:
1
    G reta steckte eine Haarsträhne zurück in den Nackenknoten, hob den schweren, gusseisernen Topfdeckel an und schnupperte. Ein Lächeln erschien auf ihrem erhitzten Gesicht, während Dampfschwaden durch die große Küche im Souterrain waberten und den Duft der Nordsee mitten in die Großstadt brachten.
    Â»Mhmm, sie ist genau richtig.« Die Hamburger Krabbensuppe durfte jetzt nur nicht mehr kochen, sonst würde der zarte Spargel darin zerfallen.
    Spargel im November! Greta verzog das Gesicht. Welch eine Verschwendung! Aber die Dame des Hauses hatte darauf bestanden. »Für meine Abendgesellschaft nur das Beste«, hatte sie gesagt. Natürlich nicht zu ihr, Greta, sondern zu ihrer Tante Mathilde, die seit zwanzig Jahren für die Herrschaft in ihrer prachtvollen Villa am Harvestehuder Weg kochte. Greta Voss wurde von Freia Hansen bestenfalls übersehen, schlimmstenfalls mit einem ärgerlichen Blick und hochgezogenen Brauen bedacht. Das hatte einen ganz bestimmten Grund, über den Greta aber lieber nicht nachdachte.
    Also war sie, ohne zu klagen, in die Vorratskammer gegangen und hatte vom hintersten Regal die letzten fünf Weckgläser mit Spargel geholt.
    Jetzt rührte sie die Suppe noch einmal vorsichtig miteinem langen Holzlöffel um, gab ein paar Tropfen in ein Schälchen und probierte mit gespitzten Lippen. »Ein kleiner Schuss Weißwein fehlt noch.«
    Mathilde Voss überhörte die Bemerkung. Es ließ sich mit ihrer Ehre als Küchenmamsell nicht vereinbaren, Ratschläge von ihrer Nichte anzunehmen. »Beeil dich«, sagte sie deshalb nur. »Der Rehrücken muss mit dem Pilzfond übergossen werden.«
    Â»Ich mach ja schon.« Greta tupfte sich mit einer Ecke ihrer bodenlangen Schürze ein paar Schweißperlen von der Stirn und öffnete dann die Ofenklappe. Augenblicklich vermischte sich der Meeresduft mit dem erdigen Geruch des Waldes. Die junge Köchin schloss kurz die Augen und schwieg. Mit jedem Küchenduft flogen ihr neue Bilder zu. Schon sah sie ein Rudel Rehe über eine sonnenbeschienene Lichtung laufen. Wie ein Wald genau aussah, wusste sie allerdings nicht, denn die kümmerlichen Bäume, die zu Hause in Altona den Evangelischen Kirchhof nur unzureichend beschatteten, zählten nicht. Aber Oliver, ein Junge aus ihrer Mietskaserne, hatte Greta oft von den Wäldern in seiner Heimat erzählt. Er stammte aus einem Dorf in Holstein und war letztes Jahr mit seinen Eltern in die Nachbarwohnung an der Georgstraße gezogen. Wenn man ihm glauben durfte, gab es auf dieser Welt nichts Schöneres, als an einem kalten Herbstnachmittag durchs Unterholz zu kriechen und nach Champignons und Pfifferlingen zu suchen.
    Leni würde das gefallen, dachte Greta und vergaß für einen kostbaren Moment, weshalb sie vor der offenen Ofenklappe hockte. Ihr Herz eilte zu einem kleinen Mädchen mit blonden Locken und hellen, wie verwaschenwirkenden Augen. Viel heller als Gretas Augen, die selbst im strahlenden Mittagslicht an die Farbe erinnerten, die die Nordsee annahm, wenn ein starker Sturm aus Nordwest heranzog.
    Greta lächelte in sich hinein. Sie konnte geradezu sehen, wie Lenis schlanke, flinke Händchen sich tief in den Waldboden gruben, auf der Suche nach Käfern oder in dem Wunsch, die kalte, feuchte Erde zu begreifen. Greta musste sie dann schelten, wie es sich gehörte, obwohl sie sich viel lieber neben sie knien und Leni fasziniert dabei zuschauen würde, wie sie die Welt auf ihre ganz eigene Art entdeckte.
    Â»Kind, du träumst schon wieder!« Mathildes energische Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Ich möchte bloß wissen, wo du immer mit deinen Gedanken bist.«
    Das willst du nicht, dachte Greta erschrocken. Das willst du ganz bestimmt nicht.
    Â»Der Pilzfond gießt sich nicht von allein über den Rehrücken. Und dann schließ die Klappe, sonst müssen wir noch mehr Briketts nachlegen.«
    Greta nickte nur. Der Wald und die kühle Erde verschwanden, einzig Leni sah sie noch eine Weile aus ihren himmelhellen Augen an. Ein wenig vorwurfsvoll, weil sie so gern noch länger in der Erde gegraben hätte.
    Dann war auch sie fort. Greta fuhr sich über die Stirn, als könnte sie damit ihre Seelenpein fortwischen, schöpfte sodann mit einer großen Kelle den köchelnden Sud über das Fleisch, schloss endlich die Ofenklappe und starrte eine Weile blicklos vor sich

Weitere Kostenlose Bücher