Die Priesterin von Avalon
leiser Stimme, »jung und stolz. Weigere dich, mich zu fürchten, wenn du willst - das Leben selbst wird dich noch das Fürchten lehren, ja, und die Bedeutung von Kompromissen!« Sie ging am Ufer entlang wieder zurück.
»Dierna ist auch mit mir verwandt«, rief ich ihr nach, »und ich werde nicht zulassen, dass du sie von mir fern hältst!«
Daraufhin drehte sich Ganeda noch einmal um. »Wie du willst«, sagte sie müde, »aber als ich jünger war, habe auch ich die Zukunft gesehen. Ich habe in den heiligen Brunnen geschaut und gesehen, dass Dierna meine Erbin sein wird. Du tust gut daran, wenn du dich gut mit ihr stellst, denn ich sage dir jetzt, dass sie die nächste Herrin von Avalon sein wird, nicht du!«
Allmählich verblasste der schreckliche Sommer, in dem Becca umgekommen war, in meiner Erinnerung. Ich wusste, was diese Tragödie ihrer Schwester angetan hatte, doch im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass auch Ganeda gelitten hatte, mehr noch als wir - und vielleicht auch sie selbst - ahnten. Körperlich war sie noch voller Kraft. Niemand, der nicht über erhöhtes Stehvermögen verfügte, vermochte die Arbeit der Herrin von Avalon zu leisten. Die Schärfe aber, mit der sie Freund und Feind schneiden konnte, war dahin.
Mir fiel es schwer, Mitleid zu empfinden. Ich war jung und begriff nicht, wie stark die Schläge, die das Leben austeilt, die Seele beeinträchtigen können. Es war mir wiederum auch nicht so wichtig, dass ich es versucht hätte. Ich erfreute mich eines gesunden Körpers und heranreifender Kräfte und strebte eifrig meinen Prüfungen entgegen. Da ich mir meines Entschlusses sicher war, schenkte ich den Beutel voll goldener Aurei, mit denen man mich ausgestattet hatte, der Familie des Jungen, der mir zehn Jahre zuvor Eldri geschenkt hatte.
So geschah es, dass ich in die Nebel trat und aus den Tiefen meiner selbst das Wort der Macht zog, das den Weg öffnete. Ich musste lachen, denn am Ende war es so leicht, als wäre mir nur etwas eingefallen, das ich vor langer Zeit bereits gelernt hatte. Heron und Aelia erging es ähnlich, als sie an der Reihe waren, und auch sie wurden ebenso wie ich jubelnd in Empfang genommen. Roud hingegen kehrte nie wieder zu uns zurück.
In dem darauf folgenden Jahr des Schweigens war ich gezwungen, innere Einkehr zu halten, was mir die unzähligen Anforderungen meiner Ausbildung zuvor nicht erlaubt hatten. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass darin die wahre Weihe bestand, denn nicht die Widersacher von außen, denen man entgegentreten und trotzen kann, sind am gefährlichsten, sondern die raffinierteren Gegner, die im eigenen Wesen hausen.
Über das Gelübde, mit dem das Jahr abgeschlossen wurde, muss ich auch Stillschweigen bewahren, abgesehen davon, dass es, wie Ganeda versprochen hatte, eine heilige Handlung, ein Opfer war. Doch obwohl ich mich der Herrin opferte, um nach IHREM Willen von IHR eingesetzt zu werden, begriff ich damals nicht die Mahnung, dass niemand vorauszusagen oder zu steuern vermag, was die Göttin mit ihm vorhat, wenn diese Bindung erst einmal eingegangen ist. Dennoch, als ich meinen Eid geleistet hatte, durchlief ich das Mysterium des Kessels und erhielt den blauen Halbmond einer Priesterin auf der Stirn.
Da ich mich hauptsächlich mit mir selbst beschäftigte, fiel mir zunächst nicht auf, dass es in Avalon nicht zum Besten stand. Während unseres Schweigejahrs waren Aelia und ich uns näher gekommen. Ich war überrascht, dass ich ohne Worte mehr von dem verstand, was in ihr vorging, als zu der Zeit, da wir uns unsere Gedanken noch im Gespräch offenbart hatten. Ich wusste, dass es ihr mit mir ebenso erging. Wir setzten unsere Stimmen nur ein, um für die Göttin zu singen, weshalb Worte eine neue, geheiligte Bedeutung annahmen.
Somit erhielten die Beratungen bei der ersten Versammlung der geweihten Priester und Priesterinnen, zu der ich nach meinem Schweigejahr zugelassen war, für mich eine ungewöhnliche Bedeutung. Die Lage war tatsächlich sehr ernst. Seit einigen Jahren waren keine neuen Jungen oder Mädchen nach Avalon gekommen, um sich ausbilden zu lassen, und Roud war nicht die einzige, die in ihrer Prüfung fortgegangen war, um nie wieder zurückzukehren. Darüber hinaus waren die Fürsten, die mit ihren Beiträgen die Gemeinschaft auf der Insel aufrechterhielten, immer weniger bereit, ihrer Zahlungspflicht nachzukommen.
»Nicht, dass wir kein Geld hätten«, sagte Arganax, der im Jahr zuvor Oberhaupt der Druiden geworden
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