Die Priesterin von Avalon
Weise hatte sich der Augustus im Osten zwei wichtige Feinde gemacht.
Die Truppen, die Konstantius aus Germanien hergeführt hatte, waren in Eburacum an Land gegangen und hatten sich mit ausgesuchten Abteilungen aus den Garnisonen am Grenzwall zusammengeschlossen. Als es Sommer wurde, drangen sie durch das Gebiet der Votadiner nach Norden vor und verfolgten einen sich immer weiter zurückziehenden Feind vorbei an der Bodotria bis in die Nähe des Mons Graupius, wo Agricola ihre Vorfahren vor über zwei Jahrhunderten besiegt hatte. Dort, so hieß es in dem Bericht, habe der Kaiser einen großen Sieg errungen.
Diese Nachricht wurde auf dem Forum verkündet und an den Toren des Statthalterpalasts ausgehängt. Die Bastet-Priesterin, der ich Konstantin auch vorgestellt hatte, beglückwünschte mich. Ich bedankte mich, hatte aber trotz des allgemeinen Jubels ein ungutes Gefühl und suchte weiterhin den Tempel der Isis auf, um zu opfern.
Die Göttin im Schrein war in römischem Stil gearbeitet, trug eine Weizenkrone und Blumen unter einem Halbmond und war in fließende Gewänder gekleidet. Der Lärm der Händler vor dem Tempel verstummte, als ich Weihrauch auf die glühenden Kohlen der Feuerstelle vor dem Altar warf.
»Göttin«, flüsterte ich, »um deines Sohnes Horus willen, des mächtigen Kämpfers, der Flügelsonne, wache über mein Kind und führe es sicher nach Hause.« Ich wartete einen Augenblick und betrachtete das Spiel des Feuerscheins auf den marmornen Gesichtszügen der Statue. Dann warf ich noch eine zweite Hand voll auf die Kohlen. »Und wache auch über den Kaiser, so wie du über den Pharao gewacht hast.«
Jeder Bürger konnte zugunsten seines Kaisers ein Opfer darbringen, und auch ich hatte nicht mehr das Recht, für ihn als meinen Gemahl zu bitten. Was hätte es mir auch genutzt, hieß es doch, dass Isis' Treue nur deshalb berühmt wurde, weil Osiris bereits tot war. Ich ging nach Hause, doch mir war nicht wohl. Die Berichte blieben jedoch weiterhin positiv. Ich werde alt , sagte ich mir. Es besteht kein Grund zur Sorge…
Ende Juni erhielt ich einen Brief von Konstantin.
» Mein Vater ist auf dem Rückweg von Alba zusammengebrochen. Er ist wieder auf den Beinen, und wir haben Eburacum erreicht, aber er scheint oft Schmerzen zu haben. Die Ärzte sagen wenig, und ich habe Angst um ihn. Bitte, komm. Er fragt nach dir… «
Konstantin hatte einen Befehl zur Bereitstellung von Postpferden geschickt. Ich reiste im Wagen, wechselte an jedem offiziellen Gästehaus die Pferde und brauchte etwas über eine Woche, um in den Norden von Eburacum zu gelangen. Ein fünfundfünfzigjähriger Körper war für eine solche Reise nicht mehr geeignet. Als ich im Lager ankam, war ich vom ständigen Schwanken und Ruckeln des Wagens voller Prellungen und völlig erschöpft. Das Gerücht über die Krankheit des Kaisers hatte sich im Land verbreitet, und ich blickte in viele besorgte Gesichter, doch man versicherte mir bei jedem Aufenthalt, Konstantius lebe noch. Diese Hoffnung hielt mich während der Reise aufrecht.
Mein Kummer über unsere Trennung hatte ein wenig nachgelassen, solange ich wusste, dass Konstantius noch unter den Lebenden weilte. Dennoch hatte ich auf meiner Reise stets das Bild der um ihren Gemahl trauernden Isis vor Augen. Selbst die Götter verloren die, die sie liebten, warum sollte ich mich also für gefeit halten?
Die Nachricht über mein Kommen war mir vorausgeeilt. Konstantin trat hinter dem Schanzwerk hervor, als wir durch das Tor fuhren, und half mir beim Aussteigen. Ich hielt mich kurz an ihm fest, um Kraft zu sammeln.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich, als ich wieder auf festen Beinen stand.
»Tag für Tag besteht er darauf, sich anzuziehen und versucht, ein wenig zu arbeiten. Aber er wird schnell müde. Ich habe ihm gesagt, dass du kommst, und mir scheint, als hätte er mich stündlich gefragt, wo du wohl gerade seist.« Er brachte ein Lächeln zustande. »Aber wir haben ihn überredet, sich hinzulegen, und er schläft jetzt.«
Er begleitete mich in das Gebäude und zeigte mir das Zimmer, das sie für mich vorgesehen hatten, und das Sklavenmädchen, das mir aufwarten sollte. Nachdem ich mich gewaschen und umgezogen hatte, wartete Konstantin bereits im angrenzenden Raum, in dem ein Tisch mit Wein und Honigkuchen gedeckt war.
»Und wie geht es dir?«, fragte ich, denn ich hatte die dunklen Ringe unter seinen Augen bemerkt. Körperlich mochte ich erschöpfter sein, aber er litt
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