Die Priesterin von Avalon
neugierigen Augen und bezauberte jeden. Konstantin redete nie über die Mutter des Jungen, aber es war deutlich, dass sie das Kind lange genug erzogen hatte, um ihm die Sicherheit zu geben, geliebt zu werden. Selbst Fausta, obwohl sie vom Alter her eher seine Schwester hätte sein können, spielte mit ihm wie mit einer Puppe und gelobte, ihn als Sohn adoptieren zu wollen.
In den drei Jahren, seit Crispus nach Treveri gekommen war, hatte ich mich an den Ruf »Avia!«, Großmutter, gewöhnt. Nachdem Konstantin die Herrschaft übernommen hatte, glaubte ich zuweilen, drei Leben gelebt zu haben, wobei das dritte das glücklichste war.
In meinem ersten Leben war ich eine junge Frau auf Avalon gewesen und hatte mich bemüht, Ganedas Feindseligkeit auszuweichen und eigene Kraft zu entwickeln. Das zweite hatte mir die Freude der Erfüllung und den Schmerz der Leidenschaft einer reifen Frau beschert. Selbst in den Jahren, als wir getrennt waren, hatte ich mich gleich einer Blume, die sich immer zur Sonne hinwendet, über meine Beziehung zu Konstantius definiert. Jetzt aber hatte mein Körper eine neues Gleichgewicht gefunden, da er nicht mehr der Gnade des Mondes ausgeliefert war, und ich hatte eine neue Existenz als Mutter des Kaisers begonnen, eine Identität, mit der ich am wenigsten gerechnet hätte.
Crispus, seines Spiels überdrüssig, kam zu mir, kletterte auf meinen Schoß, und die Hunde ließen sich hechelnd neben uns fallen. Ich nahm eine kandierte Feige von dem bemalten Teller auf der Bank neben mir, steckte sie dem Jungen in den Mund und drückte ihn an mich.
Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich nicht sparen, und für die in einem kaiserlichen Haushalt anstehenden Arbeiten hatte ich reichlich Diener. Ich hatte viel freie Zeit, die ich meistens mit Crispus verbrachte, der alle Vorzüge seines Vaters besaß, und, wie mir schien, noch liebenswürdiger war, obwohl das eher der Voreingenommenheit einer Großmutter zuzuschreiben war, die es sich leisten kann, ihre Enkel rückhaltloser zu lieben, weil deren Erfolg oder Misserfolg nicht direkt auf sie zurückfällt.
»Erzähl mir eine Geschichte über Vater, als er noch klein war!«, murmelte Crispus mit vollem Mund.
»Tja…«, ich dachte einen Augenblick lang nach, »als er in deinem Alter war, aß er Feigen genauso gern wie du. Damals lebten wir in Naissus, und wir hatten einen Nachbarn, der sehr stolz auf den Feigenbaum in seinem Garten war. Wir hatten aber auch einen Hund, Hylas, der Obst mochte und sogar auf Bäume kletterte, um an es heranzukommen. Konstantin fertigte also einen Maulkorb für Hylas an, und eines Morgens in aller Frühe hob er ihn über die Gartenmauer, ließ ihn in Nachbars Garten fallen und forderte ihn auf, den Feigenbaum hinaufzuklettern und die reifen Früchte anzustoßen, damit sie herunterfielen. Dann schlich er mit einem Korb in den Garten, sammelte sie auf und brachte sie in das Spielhaus, das er in unserem Garten gebaut hatte. Dort aß er sie auf.«
»Alle?«, fragte Crispus. »Hat er dem Hund denn keine gegeben?«
»O doch; er hat Hylas auch noch Feigen ums Maul geschmiert, und als der Nachbar seinen Verlust entdeckte, zu uns kam, mit der Faust drohte und forderte, wir sollten unseren Sohn bestrafen, zeigte Konstantin auf den Hund und schwor bei Apollon, dass Hylas der Übeltäter gewesen sei, was natürlich auch stimmte. Als der Mann ihm nicht glaubte, bestand er darauf, zum Feigenbaum zu gehen und Hylas noch einmal hinaufklettern zu lassen. Diesmal war er natürlich ohne Maulkorb, und es gelang ihm, eine der Feigen zu erwischen, die er zuvor nicht hatte packen können.«
»Was hat der Nachbar gesagt?«
»Zuerst wollte er, dass wir den Hund töten, aber er hat sich dann mit dem Versprechen zufrieden gegeben, dass wir das Tier nie wieder in seinen Garten lassen würden. Auch wir schworen bei Apollon und bezahlten dem Mann die Feigen in Silber. Dann ist er nach Hause gegangen.«
»Da bin ich aber froh, dass der Hund heil geblieben ist«, sagte Crispus. »Aber hat Pater keinen Ärger bekommen?«
»O ja, denn du musst wissen, Hylas war darauf abgerichtet, nicht auf die Mauer zu klettern. Konstantin dachte, er sei sehr klug gewesen, bis wir ihm den Unterschied zwischen wahr und ehrlich erklärten und ihn zwangen, unserem Gärtner so lange beim Umgraben der Blumenbeete zu helfen, bis er den Preis, den wir gezahlt hatten, abgearbeitet hatte.«
Die Augen des Kindes wurden immer größer, als ihm die Erkenntnis kam, dass sein
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