Die Priesterin von Avalon
sühnte. Allmählich entspannte Fausta sich ein wenig.
»Trauere um deinen Vater, Fausta, denn er war zu seiner Zeit ein großer Mann, und er hätte nicht gern so lange gelebt, bis er alt und schwach war. Trage weiß für ihn, aber sorge dafür, dass deine Augen nicht rot und geschwollen sind vom Weinen, wenn Konstantin nach Hause zurückkehrt.«
Sie nickte. Konstantin wollte, dass alle um ihn herum glücklich waren. Manchmal fragte ich mich, ob dieser Wunsch nach einer vollkommenen Familie durch die Unsicherheiten in seiner Kindheit bedingt war oder ob er es einfach für notwendig hielt, wenn er seine Rolle als Kaiser richtig ausüben wollte.
Wenn Konstantin zu Hause war, hatte er es sich zur Gewohnheit werden lassen, jeden Abend eine Stunde bei mir zu sitzen. Manchmal sprachen wir über die Familie, dann wieder über das Imperium. Vermutlich war ich die einzige Ratgeberin, der er absolutes Vertrauen schenken konnte, doch selbst mir offenbarte er seine Gedanken nicht vollständig. Zuweilen bedauerte ich den Verlust des offenherzigen Jungen, der er war, ehe er an den Hof Diokletians ging, doch ich wusste, dass Unschuld niemals die Gefahren und Intrigen in der Umgebung eines Kaisers überlebt hätte.
Zwischen meinem Schlafgemach und den Gärten hatte ich ein kleines Wohnzimmer, dessen Türen man in der heißen Sommerzeit öffnen konnte. Im Winter und in der kühlen Herbstzeit sorgte ein Kamin nach britannischem Vorbild für wohlige Wärme. Jetzt, da der Sommer zur Neige ging, saß ich mit meiner Spindel am Feuer. Die Arbeit war nicht mehr so notwendig wie in Avalon, doch ich konnte mich dabei gut konzentrieren, und sie beruhigte.
»Wie gelingt es dir nur, den Faden so fein und gleichmäßig zu spinnen, Mutter? Ich kann dir noch so lange zusehen, doch wenn ich es versuche, reißt immer die Wolle in meinen ungeschickten Händen!« Konstantin hatte die langen Beine zum Kamin hin ausgestreckt und die tief liegenden Augen halb geschlossen, während er die Drehung der Spindel beobachtete.
»Dann ist es ja gut, dass du nicht als Mädchen geboren wurdest«, antwortete ich und hielt die Spindel mit dem Fuß an, während ich noch mehr Wolle aus dem Rocken abließ und die Spannung wieder anglich. Eine heftige Drehung setzte sie wieder in Gang.
»O ja«, lachte er. »Aber die Schicksalsgöttinnen, die meinen Weg von der Wiege aus festgelegt haben, hätten sich in einer so wesentlichen Angelegenheit nicht geirrt. Ich wurde zum Kaiser geboren.«
Ich hob eine Augenbraue. Seine Sicherheit störte mich ein wenig, doch konnte ich kaum in Zweifel ziehen, woran ich selber glaubte.
»Und eine Dynastie zu begründen? Crispus wächst zu einem feinen Kerl heran, aber ein Sohn ist noch keine Familie. Fausta ist jetzt neunzehn und reif, dass du dich zu ihr legen kannst. Sie wird etwas anstellen, wenn du ihr keine Kinder schenkst.«
»Hat sie sich beklagt?« Er lachte. »Du hast natürlich Recht, aber ich werde erst dann weitere Kinder zeugen, wenn ich mit Sicherheit so oft zu Hause bin, dass ich mich um ihre Erziehung kümmern kann. Galerius' Tod hat das Machtgleichgewicht verschoben. Ich habe allen Grund anzunehmen, dass Maximian Daia sich mit Maxentius verbündet hat. Ich habe mich mit Licinius in Verbindung gesetzt, der ebenfalls Anspruch auf den Osten erhebt, und ihm die Hand meiner Schwester Konstantia angeboten.«
Er warf mir einen flüchtigen Blick zu, als fragte er sich, wie ich die Erwähnung seiner Halbschwester aufnähme, doch ich hatte mich längst mit der Tatsache abgefunden, dass Konstantius seinen Sohn Konstantin gebeten hatte, für die Kinder von Theodora zu sorgen. Sie mochte zwar von besserem Stand sein als ich, aber der Kaiser war mein Sohn.
»So, die Fäden sind also gespannt…«
»Maxentius hat meine Statuen entstellt. Er sagt, es sei eine Antwort darauf, wie ich die Bildnisse seines Vaters Maximian behandelt habe, aber Maximian starb als Aufrührer, wohingegen ich Maxentius' Bruderkaiser sein soll. Ich werde gegen ihn angehen müssen, und zwar bald, ehe der Schnee die Alpen unpassierbar macht. Diese Ausrede ist besser als gar keine.«
»Wenn die Gerüchte stimmen, die mir zu Ohren gekommen sind, wird der Senat auf deiner Seite stehen. Maxentius hat sich bei zu vielen Frauen und Töchtern der Patrizier Freiheiten herausgenommen und zu viele Steuern erhoben. Aber sind deine Streitkräfte groß genug, um sich mit den Männern messen zu können, die er der Prätorianergarde hinzugefügt hat, und mit den
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