Die Priesterin von Avalon
einfach als Befreier sehen. Er war auf der Milvischen Brücke, als sie einstürzte, und das Gewicht seiner Rüstung zog ihn in den Schlamm, sodass er ertrank. Was die Sterne betrifft, in der Nacht vor der Schlacht träumte ich, eine leuchtende Gestalt zeigte mir eine Papyrusrolle mit den griechischen Buchstaben, welche die Schreiber verwenden, um einen guten Textabschnitt zu kennzeichnen, und sie sagte mir, das sei das Zeichen, mit dem ich siegen sollte. Als ich aufwachte, erteilte ich den Befehl, das Chi und Ro an einer Militärstandarte anzubringen, und ließ meine Leibwache das Zeichen auf ihre Schilde malen. Dann ging die Sonne auf und teilte sich in ein Lichtkreuz, und ich wusste, der Sieg gehörte mir. Sopater glaubt, dass ich Apollon gesehen habe, doch Bischof Ossius versichert mir, Christus habe mir meine Vision gesandt.«
»Und was glaubst du?«, fragte ich ihn.
»Der jüdische Jesus, den wir gekreuzigt haben, ist ein Gott für Sklaven«, sagte Konstantin. »Doch der große Vater, den die Christen verehren, der König und Schöpfer der Welt, ist derselbe wie der Gott der Philosophen, und er ist würdig, Schutzpatron eines Kaisers zu sein. Ich glaube nicht, dass es eine Rolle spielt, welchen Namen die Menschen IHM geben, solange sie erkennen, dass ein Gott im Himmel und ein Kaiser auf Erden der Größte ist.«
»Der Senat hat dich zwar als den ältesten Augustus bestätigt«, bemerkte ich vorsichtig, »aber im Osten herrscht immer noch Licinius, der in Bälde dein Schwager wird…«
»Stimmt«, sagte Konstantin stirnrunzelnd. »Ich weiß nicht, wie der Gott die Dinge regeln wird, aber in meinem Herzen weiß ich, dass das, was ich gesagt habe, wahr ist. Es ist meine Bestimmung.«
»Ich glaube dir«, sagte ich leise, denn in jenem Augenblick, als die letzten Strahlen der untergehenden Wintersonne ihn in goldenes Licht tauchten, hatte er in der Tat etwas Göttliches an sich. Und nach den inneren Unruhen der letzten Jahre wäre eine einzelne starke Hand an den Zügeln des Imperiums gewiss wünschenswert.
Die Prophezeiungen von Avalon hatten ein Kind angekündigt, das die Welt verändern würde, und von Jahr zu Jahr wurde deutlicher, dass es sich dabei um Konstantin handelte. Ich hatte zu Recht rebelliert. Doch ich fragte mich zugleich, warum mich noch immer ein leichtes Ungemach beschlich, selbst als ich mich mit meinem Sohn über den Sieg freute.
Das darauf folgende Frühjahr war eins der schönsten, an die ich mich erinnern kann. Es war, als feierte die ganze Welt Konstantins Sieg. Ein segensreicher Wechsel von Sonne und Regen ließ die Blumen sprießen, und die Wintersaat brachte eine reichliche Ernte hervor.
Ich war im Garten und sprach mit dem Mann, der sich um die Rosen kümmerte, als Vitellia aus dem Palast stürzte, eine Papyrusrolle an sich gedrückt, die Wangen tränenüberströmt.
»Was ist passiert?«, rief ich, doch als sie näher kam, sah ich, dass ihre Augen vor Freude strahlten.
»Er hat uns Sicherheit gegeben!«, verkündete sie. »Dein Sohn, der Herr segne ihn, hat uns beschützt!«
»Wovon redest du?« Ich nahm ihr die Papyrusrolle aus der Hand.
»Das kommt aus Mediolanum - die Kaiser haben sich auf eine einheitliche Politik hinsichtlich der Religion festgelegt…«
Ich entrollte das Schriftstück und überflog die Worte, die sich auf ein früheres Toleranzedikt bezogen, das Galerius erlassen hatte, und ergänzend hinzufügten:
»…niemandem sei die Freiheit genommen, entweder der Religion der Christen oder einem beliebigen anderen Kult zu folgen, den er nach seinem eigenen freien Willen für sich angenommen hat, auf dass die höchste Gottheit, der wir freien Gehorsam leisten, uns in allen Dingen ihre erwünschte Gunst und ihr Wohlwollen gewähre.«
Mit den folgenden Paragraphen wurde den Christen das Eigentum und die Freiheit wieder zugesprochen, die ihnen während der Verfolgung aberkannt worden war. Jedem Kult wurde gleichermaßen die ungehinderte Religionsfreiheit zugestanden. Kein Wunder, wenn Vitellia weinte, dachte ich. Der Schatten, der über ihr und der Kirche geschwebt hatte, war entfernt worden, und die Christen konnten nun vielleicht wieder auftauchen und neben den Anhängern der traditionellen Religionen ins gesegnete Licht eines neuen Tages treten.
In all den Jahren, die ich unter den Römern lebte, hatte ich eine solche Anerkennung der Wahrheit, die jenseits aller Kulte oder Glaubensbekenntnisse lag, nicht erlebt. Die Götter der Römer schienen um die Gunst
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