Die Priesterin: Wild Roses, Staffel 1, Band 4 (German Edition)
Verzweiflung und Hass in schneller Reihenfolge ab. „Ich bin bereit!“, sagte sie mit fester Stimme.
Der Sonnenstrahl verlosch, und gleich darauf kehrte er mit doppelter Kraft zurück. Es war, als würde eine göttliche Hand Enoras Haare streicheln. Glynis hörte ein Knistern, das von den Grundfesten des Himmels selbst auszugehen schien.
„Dann geh jetzt!“, befahl die Göttin. „Folge Rose. Wenn du sie gefunden hast, wirst du wissen, was zu tun ist. Ein langes, schweres Schicksal steht ihr bevor. Steh ihr bei, so gut du es vermagst. Dann wird dir irgendwann auch die Gunst gewährt, das zu tun, wonach dein Herz gerade schreit.“
Enora schluckte schwer. Dann senkte sie den Kopf in einer Geste der Demut. „Ich danke dir, Königin Mutter.“ Mit diesen Worten löste sie sich vor Glynis’ Augen in Luft auf.
„Was ist mit mir?“, wagte Glynis zu fragen. „Du hast gesagt, du hast eine andere Aufgabe für mich.“
„Das habe ich.“ Wieder ließ das Rauschen in den Bäumen nach. Glynis glaubte schon, die Göttin habe sich zurückgezogen, ohne ihr eine Antwort auf ihre Frage gegeben zu haben, doch dann trat eine hochgewachsene, blasse Frau in den Schatten unter dem Dolmen. Ihr Gesicht war edel, ein Diadem umkränzte ihre Stirn, und der rote Stein darauf leuchtete so grell, dass Glynis blinzeln musste. Weich fließende, schneeweiße Gewänder hüllten die schlanke Gestalt der Frau ein.
„Herrin!“ Diesmal sank Glynis vor ihrer Göttin auf die Knie.
Morgana legte ihr eine Hand auf den Scheitel. „Erhebe dich!“
Wie unter einem Hieb zuckte sie zusammen und gehorchte.
„Als Strafe für deinen Verrat an mir verbanne ich dich in die Anderswelt“, sagte Morgana. Glynis’ Herz setzte einen Schlag aus. Sie würde bestraft werden. Sie hatte es nicht anders verdient.
„Ja, Herrin“, sagte sie leise.
„Du und alle Bewohner deines Hauses werden von diesem Augenblick an Teil der Anderswelt sein, und nur in einem Mondjahr wird euch die Gunst gewährt, für einige Tage in die Welt der Menschen zurückzukehren. Nutze diese Tage gut, Glynis, um einen Weg zu suchen, wie du Rose und Alan von dem furchtbaren Schicksal befreien kannst, das sie deinetwegen erleiden müssen.“
„Dann gibt es einen Weg?“, rief Glynis voller neuer Hoffnung aus.
„Es gibt immer einen Weg“, antwortete die Göttin. Sie hob eine Hand und präsentierte sie Glynis. Auf der Fläche lag ein Dornenzweig mit einer einzelnen blutroten Rose. „Was du brauchst, sind Silber und Blut und Rosen.“
Glynis hatte keine Ahnung, was Morgana damit meinte, aber sie wagte es auch nicht, nachzufragen. Sie nahm die Rose an sich. Sie würde im nächsten Moment in die Anderswelt versetzt werden und dort die nächsten Jahrzehnte lang umherwandeln müssen, bis in der Welt der Menschen das nächste Mondjahr anbrach. Viel Zeit also, um über die Worte der Göttin nachzudenken und herauszufinden, was sie zu bedeuten hatten.
„Dein Wille geschehe!“, sagte sie. Gleich darauf spürte sie, wie die Menschenwelt rings um sie herum verblasste ...
2014
Glynis tauchte aus ihrer Erinnerung auf, und ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass nur wenige Sekunden vergangen waren. Sie holte tief Luft. Es hatte sich angefühlt, als seien Ewigkeiten verstrichen.
„Schau!“ Enoras Stimme war sehr aufgeregt, und Glynis zwang sich dazu, sich wieder auf das Ritual zu konzentrieren. Sie hatte es einmal vermasselt. Sie würde es nicht ein zweites Mal tun. Sie richtete den Blick auf das Amulett.
Die Blutstropfen hatten sich in dunkelrote Granate verwandelt. Jetzt galt es, die letzten Formeln zu sprechen.
Glynis schloss die Augen und konzentrierte sich. „Ich rufe dich, große Königin Mutter“, murmelte sie. „Steh mir bei!“
„Ich bin hier!“ Die Stimme der Göttin erfüllte den Raum und sandte einen starken Schauer über Glynis’ gesamten Körper.
„Der erste Teil des Rituals ist erfolgt, Herrin“, sagte Glynis. Langsam öffnete sie die Augen. Mitten im Raum schwebte eine Art Flimmern, in dem nur vage die Umrisse einer hochgewachsenen Frau zu erkennen waren. Ein sanftes, überirdisches Leuchten ging von der Gestalt aus, und der Geruch nach Wildrosen wehte wie aus weiter Ferne heran.
Enora stand wie angewurzelt da, und sie wirkte noch kleiner als gewöhnlich. Trotzdem hielt sie den Kopf nicht demütig gesenkt, sondern blickte die Göttin Morgana offen und furchtlos an.
„Ich sehe es“, antwortete die Göttin auf Glynis’ Worte. „Und jetzt
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