Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
erhob, reichte als Säule hinauf bis zu den Wolken, sich fortwährend verbreiternd – es war, als wäre es diese Frau und dieser Kessel, die die graue Wolkendecke brauten, die heute das Land überschattete, es war, als nähme hier am Ufer des Lucinsees ein Unglück seinen Anfang, ein Unglück, das weit, weit seine Fänge ausreckte. Eine Sorge ohne Namen, nur ein Gefühl war es, das Alenas Schultern niederdrückte wie eine schwere Last.
Sie seufzte. Ohne Eile stieg sie den Hang hinab. Die Frauen ließen ihre Wäsche fallen und näherten sich. Mit bewundernden Blicken küßten sie Alenas Kleidersaum, nahmen sie bei den Händen, zogen sie in die eine, dann in die andere Richtung, lachten.
»Schön, daß du uns besuchst.«
»Du hast es gut, daß du von hier fort kannst.«
Alena wollte eine ernste Miene machen, aber es gelang ihr nicht. Sie mußte schmunzeln. Obwohl allesamt längst verheiratet waren, waren es doch ihre Spielkameradinnen, die, mit denen sie auf dem Lucinsee im Winter Schlittschuh gelaufen war, die, deren Rockzipfel sie beim Versteckspiel hinter einem Faß hervorlugen gesehen hatte, und obwohl es schon in der Kindheit immer Alena gewesen war, die anführte und entschied, wurde sie doch erst seit wenigen Jahren mit der Scheu behandelt, die man auch den Priestern entgegenbrachte. Beinahe meinte sie, ein einfacher Ruf – »Versteckt euch!« – würde genügen, und sie würden auseinanderstieben und sich verbergen, Kinder, jauchzende, kreischende Mädchen, Gefährtinnen.
»Ihr könnt heute keine Seife kochen«, sagte sie. »Der Gestank zieht über die ganze Burg hinweg. Macht das aus.«
Ohne Widerspruch gehorchten die Frauen. Sie schöpften Wasser mit den Händen und schütteten es auf die Flammen, bis nichts als zischende, schmauchende Asche davon übrigblieb.
»Und nebenbei bemerkt, freue ich mich überhaupt nicht, Rethra zu verlassen. Ich werde mich freuen wiederzukehren. Denn dann« – sie senkte die Stimme, und die Köpfe der Gefährtinnen drängten heran – »dann wähle ich mir einen Ehemann.«
Bis die Dunkelheit hereinbrach, gab sich Alena dem Genuß der Heimat hin, aß und trank, lachte und tanzte, schalt, herrschte, verbreitete Schrecken und dann wieder Wohlwollen.
Mit den Sternen kam die Angst.
Sie flehte, vor dem Tempel kniend, um Svarožićs Schutz, sie floh die Menschen und spähte vom Turm aus entsetzt über die weiten, finsteren Wälder. Es war das erstemal, daß sie Rethra verlassen sollte. Plötzlich erschien es ihr wie der Sprung von der Klippe in den sicheren Tod. Als der Nachthimmel den nahenden Morgen mit einem grauen Dämmerstreifen verkündete, fand er Alena schweigsam, müde und mit fieberglühendem Kopf. Knapp nahm sie Abschied vom Vater. Sie verließ Rethra wie eine Gefangene, letzte Blicke nach der sich entfernenden Burg sendend.
2. Kapitel
In den Rindenfurchen der Buchen verbarg sich Moos. Die alten Bäume verströmten Harzgeruch und den Duft nassen Holzes. Morgenlicht tropfte durch die Zweige. Sanft wiegten sich die Blätter im Wind, rauschten und wisperten.
Es war ein Lied, das der Wald sang, ein uraltes Lied. In den Tagen der ersten erschaffenen Bäume hatte es begonnen und war seitdem in unveränderlichem Chor erklungen, lauter im Sturm, fast unhörbar in windloser Sommerhitze. Wagten sich Tierlaute dazwischen: Kratzen und Schaben, Tapsen und Nagen, Pochen, Zwitschern, Summen, so lauschten die Bäume gnädig.
Alena hatte den Wald längst liebgewonnen. Sie fühlte sich sicher zwischen den Stämmen, die sie mit den Armen nicht zu umfassen vermochte, und Träume von der Rückkehr, einen wilden, boshaften Franken gefesselt im Troß, vertrieben ihr die Zeit. Wie würden die Völker jubeln! Der Ruf der Nawyša Devka würde stärker sein denn je, die Augen der Fürsten und ihrer Söhne würden auf ihr liegen.
Wie unter einer drückenden Last ächzte der Buchenhain, dann senkte sich unvermittelt Stille herab.
Das Mäusescharren im Gebüsch verstummte. Der geschwätzige Singsang des Erlenzeisigs brach ab, und der Gimpel beendete sein sanftes Flöten. Zuletzt war noch das
Wittwittwitt
des Baumpiepers zu hören, dann herrschte Lautlosigkeit: Der Wald hielt den Atem an.
Alena, den Hals eines Pfifferlings zwischen Daumen und Messerklinge, erstarrte. Die Schneide hatte den Pilz schon angeritzt. Vorsichtig löste Alena das Messer.
Sie blickte von einem Stamm zum nächsten.
»Mstislav? Nelet?«
Langsam richtete sie sich auf. Da war ein Schatten. Kaum zehn
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