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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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vorn beugte, um in den Wald zu spähen. »Der Schatten«, murmelte sie, »die Stille im Wald …«
    Mstislav schlich voran, gebückt, langsam.
    Sie traten auf eine Wiese mit Holunderbüschen. Hummeln und Bienen summten um die gelben Blüten der Sonnenröschen, Fliegen zuckten, Falter taumelten, einzig die kaltroten Distelblüten standen still, dicke kleine Köpfe, die der Wind umschmeichelte. Die gegenüberliegende Waldgrenze war sicher hundert Schritt entfernt. Mstislav zischte: »Beim Dreiköpfigen!«
    Er wog das Beil in der einen, die Keule in der anderen Hand: »Ihr bleibt hier.« Allein ging er auf die Heide hinaus, blieb stehen, streckte die Schultern und brüllte. Er brüllte wie ein Bär.
    Die Antwort von der anderen Seite kam aus vielen Kehlen. Das Geschrei böser Geister: Sie brachen aus dem Schatten der Bäume hervor, gut zwei Dutzend Panzerhemden, in denen die Sonne glänzte, angeführt von einem Hünen mit blondem, langem Haar.
    »Es sind zu viele«, rief Mstislav. Er drehte sich nicht um,schrie zu den Feinden gewandt, aber in slawischer Sprache: »Verschwindet! Lauft!«
    Die Gepanzerten stürmten über die Wiese, knickten die Disteln. Sie hielten Schwerter in den Händen; wippende, lange Krallen des Totenreiches. Poltern und Rasseln erfüllte die Luft. Der Boden bebte, Gras und Hirsewedel flogen wie Staub.
    Innerhalb von Augenblicken hatten die Gepanzerten Mstislav erreicht. Dem ersten schlug er das Beil ins Bein, knapp unterhalb des Knies. Die Stimme des Mannes überschlug sich vor Schmerz. Dem zweiten hieb er die Keule auf den Kopf, daß er bewußtlos zusammensackte. Dann war Mstislav umringt von Feinden; Alena sah Schwertklingen auf ihn niedersausen, hörte das Reißen von Fleisch, sah ihn wanken, stürzen.
    Sie schloß die Augen. Als sie sie wieder öffnete, stürmte sie schon auf die Gepanzerten zu. »Alena!« warnten sie hinter ihr. Doch sie setzte unbeirrt einen Fuß vor den anderen.
    Der Hüne und hinter ihm die Horde der Gepanzerten kamen auf sie zu, die blutigen Klingen erhoben. Rechts und links von ihr erschienen Nakon, Rostislav, Witzan, all die anderen, auch Nelet. »Geben wir’s ihnen«, schnaubte Nakon. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er den langen Schaft der Axt durch die Hand gleiten ließ, bis er ihn am äußersten Ende umgriffen hielt. Er legte die linke Hand mit an den Schaft, hob die Axt in die Höhe. Rostislav zog seinen Schild vom Rücken und schob den Arm durch die Schlaufen auf dessen Rückseite. Die Krieger Rethras stimmten ein leises Summen an, das hinabsackte, bis sie die Münder öffneten und einen dunklen Schrei ausstießen.
    Mit lautem Krachen trafen die Gruppen aufeinander. Nakon brüllte und führte einen so starken Axthieb aus, daß das Schwert des Gegners durch die Luft flog. Es fiel zwischen die Disteln. Rostislav wehrte einen Schwertstreich ab, den Arm mit dem Schild hoch erhoben. Der blonde Hüne nutzte den Augenblick und schlug ihm die Klinge in die ungedeckteBrust. Rostislav winselte, quetschte ein Ächzen hervor, während ihm die Knie schon einknickten. Zugleich streckte der Hüne zwei Redarier mit einem einzigen kraftvollen Hieb nieder.
    Alena schritt durch das Blitzen und Klirren, das Gurgeln, Jaulen, Stöhnen und Brüllen wie eine, die nachts zum Mond wandelt.
    »Nein, Mama«, rief eine sanfte Kinderstimme, und da kam er auf sie zugelaufen, mit weit geöffneten Armen, kaum höher gewachsen als die Disteln. Die Heide schimmerte durch seinen Körper hindurch. Er war wie Nebel, wie ein zarter Lufthauch zwischen den Welten. Ihr ungezeugter Sohn. Ihr zukünftiger.
    Alena breitete die Arme aus und fing ihn auf. Sie hob den Jungen an ihren Hals, herzte ihn, küßte Stirn und Wangen. »Mein Schäfchen, mein süßer Bube, ich werde nicht sterben. Ich werde dich auf die Welt bringen!«
    Kaum waren die Worte über ihre Lippen gekommen, war der Junge verschwunden, und sie hielt die eigenen Schultern umklammert. Das Ächzen der Kämpfenden, das Klirren der Waffen kehrte zurück.
    Dort lag Mstislavs verunstalteter Körper. Alenas Knie gaben nach. »Vergib mir, vergib mir …« Schmerz quoll in ihrem Hals, engte die Kehle ein. »Ich hätte reden sollen, ich hätte dir von dem Schatten berichten sollen! O bitte, zürne nicht, verfolge mich nicht mit deinem Geist!« Sie packte Mstislavs Hand, umschloß die schlaffen Finger. »Ist alles verloren?«
    Sie drehte sich um. Nakon und Witzan standen noch, Rücken an Rücken, durchschnitten mit ihren Äxten die Luft, versuchten,

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