Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
sich die Gepanzerten vom Leib zu halten. Sie keuchten bei jedem Hieb. Schweiß perlte von ihren Stirnen. Die Dämonen griffen zu dritt an, zu fünft, zu sechst. Alena schloß die Augen und umkrampfte Mstislavs Hand. »Hilf mir. Bitte!« Sie würde es nicht mehr schaffen fortzulaufen. Sie mußte sich unansehnlich machen.
Hastig riß sie Grasbüschel aus, grub die Hände in denHeideboden, bis sie feuchte Erde erreichte. Die rieb sie sich ins Gesicht und in den Nacken. Moderig roch es. Wie der Acker, wenn er nach einem Regenguß mit dem Pflug umgebrochen wurde – die redarischen Krieger würden den Geruch nie wieder atmen.
Mit den schmutzigen Händen wirbelte sie durch ihre Haare, dann erhob sie sich. Sie sah Nakon umkippen, als letzten. Beinahe schien es, als sei er unversehrt unter dem Wolfsfell, das seine breiten Schultern bedeckte, als fiele er nur in einen tiefen Schlaf. Mit einem dumpfen Donnerschlag traf er auf dem Boden auf.
Alle niedergemacht, tot. Leblose Körper nur noch. Sie lagen auf der Wiese, würden nie wieder aufstehen. Alena wollte ihre Namen rufen, wollte zu ihnen hinstürzen, sie aufrichten. Sie war die Nawyša Devka, ruhte in ihr nicht die lebenspendende Kraft Svarožićs? Aber da waren die Gepanzerten, die sich ihr näherten, mehr als zwanzig Krieger, dunkle Spritzer im Gesicht und auf der stählernen Brust. Einige köpften mit kurzen Schwertschlägen im Vorbeigehen die Disteln. Sie konnten nicht aufhören.
Die Krieger umringten sie, ließen die Blicke an ihrem kupferroten Wollkleid heruntergleiten. Jene, die in Alenas verwüstetes Gesicht sahen, rümpften die Nase. Sie wollte schlucken, konnte es aber nicht.
Einer trat auf sie zu, ein kleiner Mann mit messerscharfer, spitzer Nase. Er sprach Fränkisch. »Das ist sie. Ich bin bis auf wenige Schritt an sie herangekommen, dann ist sie fortgelaufen.«
Ein anderer kam näher, streckte die Hand nach ihrem Gesäß aus. Alena sprang beiseite. Jemand packte sie am Arm, stieß sie zu Boden. Sie versuchte fortzukriechen. Von überall her kamen Hände und hielten sie fest, ergriffen den Saum ihres Kleides. Ein Schwert blitzte auf, entzweite das Gewand bis zur Hüfte. Es war ein furchtbares Geräusch. Sie spürte es am ganzen Körper, als würde ihre Haut bersten. Glühende Hände strichen über ihre Beine.
Dann eine Stimme: »Laßt das!«
Die Peiniger entfernten sich. Alena wollte aufspringen und fortlaufen, aber sie konnte sich nicht rühren.
Das Gesicht des Hünen erschien über ihr. Er faßte ihr Handgelenk mit eiserner Faust und zog sie in die Höhe. »Niemand wird dich anrühren.«
Konnte sie stehen? Ihr ganzer Körper zitterte.
»Hooo«, machte der Hüne, ein langgestreckter, kehliger Laut, als wollte er ein Pferd beruhigen. »Wie heißt du?«
Sie schüttelte den Kopf, als habe sie nicht verstanden. Franken waren das, wohl ein versprengter Haufe des Heeres von Erzkanzler Luitbert, Männer, die ihn auf die Idee bringen könnten, nach Rethra vorzustoßen. Vater hatte sie gewarnt. Sie hatte die Krieger zu weit in den Süden geführt. Nun würde sie nicht zusätzlich noch Rethra preisgeben – wie sehr sie auch um ihr Leben fürchtete.
Der Blonde tippte sich an die Brust: »Ich bin Embricho.« Er hatte das Blau von Zimbelkraut in den Augen, einen wilden, starken Blick. Sein Mund schien etwas zu halten, einen unsichtbaren Halm, eine Blume aus Luft. Schmale Lippen, sehr gerade. »Embricho.« Seine Hand zeigte auf sie: »Du?«
»Alena«, sagte sie leise. Rings um die Stiefel der Krieger brummten die Hummeln, schaukelten die Falter, als wäre der Sommerwiese entgangen, daß der Tod auf ihr soeben reiche Ernte eingefahren hatte. Alena wurde übel beim Anblick der roten Schlieren auf den Händen und in den Gesichtern der Männer.
Hinter ihnen lag Mstislavs zerschlagener Körper, und weiter entfernt zwischen den Halmen mußten die reglosen Augen der anderen in den Himmel starren. Alle tot. Nur sie lebte, Alena, unverletzt, die Schuldige, um ihre Schuld zu tragen.
Der Hüne.
Alena faßte einen Entschluß: Sie würde den Hünen nach Rethra bringen. Er war das Opfer. Er würde für Svarožić sterben.
Der Boden sank unter ihren Füßen ein. Zweige knackten, Blätter und Nadeln gaben knisternd nach. Sie liefen durch Bärlauch. Der scharfe Geruch trieb ihr Wasser in die Augen. Ein grobes Hanfseil hielt die Hände hinter ihrem Rücken gefesselt, jede Bewegung schmerzte, weil es über die Handgelenke scheuerte. Neben ihr gingen die feindlichen
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