Die Prinzen von Amber
Achseln.
»Natürlich«, sagte er. »Aber genug davon! Wo hast du gesteckt? Was hast du gemacht? Warum bist du hierhergekommen? Erzähl mir von dir! Unser letztes Gespräch liegt Jahre zurück.«
Ich nickte. Es war bedauerlich, gehörte aber zur Familienetikette wie auch zur Ausübung der Macht, daß ich seine Fragen beantworten mußte, ehe ich selbst Fragen stellte. Er war älter als ich, und ich war – wenn auch ahnungslos – in seinen Einflußbereich eingedrungen. Nicht daß ich ihm die Geste nicht gönnte. Er gehörte zu den wenigen Verwandten, die ich respektierte und sogar mochte. Nur lagen mir zahlreiche Fragen auf der Zunge. Wie er schon gesagt hatte – es war viel zu lange her.
Und wieviel durfte ich ihm verraten? Ich hatte keine Ahnung, welcher Seite er seine Sympathien geschenkt hatte. Ich wollte die Gründe für sein selbstgewähltes Exil nicht etwa erfahren, indem ich die falschen Themen anschnitt. Also mußte ich mit etwas Neutralem anfangen und ihn dann Zug um Zug aushorchen.
»Es muß doch irgendwo einen Anfang geben«, sagte er im gleichen Moment. »Mir ist egal, wie du die Sache anpackst.«
»Es gibt viele Anfänge«, sagte ich. »Es ist schwierig ... am besten hole ich wohl ganz weit aus ...«
Ich kostete einen Schluck Wein.
»Ja«, fuhr ich fort. »Das scheint mir das einfachste zu sein – obwohl ich einen großen Teil der Ereignisse erst kürzlich begriffen habe.
Es geschah mehrere Jahre nach dem Sieg über die Mondreiter von Ghenesh und deinem Verschwinden, daß Eric und ich uns ernsthaft zu streiten begannen«, setzte ich an. »Ja, es war ein Streit um die Nachfolge. Vater hatte wieder einmal von Abdankung gesprochen und weigerte sich wie eh und je, einen Nachfolger zu benennen.
Natürlich kam es sofort wieder zu den altbekannten Diskussionen darüber, wer wohl der rechtmäßige Erbe wäre. Eric und du, ihr seid natürlich älter als ich, doch während Faiella, meine und Erics Mutter, nach dem Tod von Clymnea seine Frau wurde, haben sie ...«
»Es reicht!« brüllte Benedict und schlug so heftig auf den Tisch, daß die Platte zersplitterte.
Die Lampe hüpfte herum und begann zu flackern, stürzte aber wie durch ein Wunder nicht um. Sofort wurde der Vorhang vor dem Ausgang zur Seite geschoben, und ein Posten spähte besorgt herein. Benedict warf ihm einen Blick zu, und er zog sich hastig wieder zurück.
»Ich habe keine Lust, mir unsere jeweilige Bastard-Vergangenheit anzuhören«, sagte Benedict leise. »Dieser obszöne Zeitvertreib war einer der Gründe, warum ich mich überhaupt aus dem Schoß der Familie und Amber entfernt habe. Bitte erzähl deine Geschichten ohne solche Fußnoten.«
»Nun – ja«, sagte ich und mußte mich räuspern. »Wie ich schon sagte, hatten wir ziemlich heftige Auseinandersetzungen über die Sache. Eines Abends blieb es dann nicht bei Worten. Wir kämpften.«
»Ein Duell?«,
»So formell war es nun auch wieder nicht. Eher könnte man sagen, daß wir gleichzeitig beschlossen, uns gegenseitig zu ermorden. Jedenfalls kämpften wir ziemlich lange miteinander, und Eric gewann schließlich die Oberhand und machte Anstalten, mir den Garaus zu machen. Auch wenn ich meiner Geschichte wieder vorgreife, muß ich hinzufügen, das mir all diese Einzelheiten erst vor etwa fünf Jahren wieder ins Gedächtnis zurückgebracht wurden.«
Benedict nickte, als verstünde er, was ich meinte.
»Ich kann nur vermuten, was unmittelbar nach meiner Bewußtlosigkeit geschah«, fuhr ich fort. »Jedenfalls hielt sich Eric im letzten Augenblick zurück und tötete mich nicht. Als ich erwachte, befand ich mich auf einem Schatten Welt namens Erde, in einem Ort, der London heißt. Die Stadt wurde gerade von der Pest heimgesucht, und ich steckte mich an. Ich erholte mich jedoch und hatte keine Erinnerung an die Zeit vor meinem Aufenthalt in London. Auf dieser Schattenwelt lebte ich viele Jahrhunderte lang und suchte nach Anhaltspunkten für meine Identität. Ich reiste viel herum, nahm oft an militärischen Feldzügen teil. Ich besuchte die dortigen Universitäten, sprach mit denklügsten Köpfen, suchte die berühmtesten Ärzte auf. Doch nirgendwo fand sich ein Schlüssel zu meiner Vergangenheit. Mir war bewußt, daß ich nicht wie die anderen Menschen war, und ich gab mir größte Mühe, diese Tatsache zu verheimlichen. Es stimmte mich wütend, daß ich alles haben konnte, was ich wollte – außer dem, was ich mir am sehnlichsten wünschte: Aufschluß über meine Identität,
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