Die Prinzen von Amber
Julian hatte mir gesagt, sie sei »irgendwo im Süden«. Er wußte nicht genau, wo. Wer blieb nun noch übrig?
Eric selbst, Julian, Gérard oder Caine. Eric kam nicht in Frage. Der hätte niemals Einzelheiten über Vaters Nichtabdankung auf eine Weise verbreitet, die es Benedict ermöglichte, sich eine solche Meinung zu diesem Thema zu bilden. Julian stand hinter Eric, war allerdings nicht ohne persönlichen Ehrgeiz. Wenn es ihm nützen konnte, würde er Informationen weitergeben. Das gleiche galt für Caine. Gérard dagegen hatte auf mich immer den Eindruck gemacht, als interessiere ihn das Wohl Ambers mehr als die Frage, wer denn auf seinem Thron saß. Seine Sympathie für Eric hielt sich allerdings in Grenzen, und er war einmal bereit gewesen, Bleys oder mich gegen ihn zu unterstützen. Meiner Auffassung nach hätte er Benedicts Informiertheit über die Ereignisse als eine Art Rückversicherung für das ganze Land angesehen. Ja, mit ziemlicher Sicherheit war es einer dieser drei. Julian haßte mich, Caine mochte mich nicht besonders, hatte aber auch nichts gegen mich, und Gérard und ich teilten angenehme Erinnerungen, die bis in meine Kindheit zurückreichten. Ich mußte schleunigst herausfinden, wer dahintersteckte – und Benedict war natürlich nicht so ohne weiteres bereit, mir klaren Wein einzuschenken, kannte er doch meine jetzigen Beweggründe nicht. Eine Verbindung zu Amber konnte dazu verwendet werden, mir zu schaden oder zu nützen, je nach seinen Wünschen, je nach der Person am anderen Ende. So war diese Information für ihn zugleich Waffe und Schild, und es kränkte mich doch etwas, daß er es für richtig hielt, mir diesen Umstand so deutlich vor Augen zu führen. Ich rang mich schließlich zu der Annahme durch, seine kürzliche Verwundung habe ihn unnatürlich vorsichtig gemacht – denn ich hatte ihm bisher niemals Grund zur Sorge gegeben. Allerdings führte dies dazu, daß ich ebenfalls ungewöhnlich vorsichtig war – eine traurige Erkenntnis, wenn man nach vielen Jahren einen Bruder wiedersieht.
»Interessant«, sagte ich und ließ den Wein in meinem Becher kreisen. »So gesehen hat es den Anschein, als habe jedermann voreilig gehandelt.«
»Nicht jeder«, sagte er.
Ich spürte, daß sich mein Gesicht rötete.
»Verzeihung«, sagte ich.
Er nickte knapp. »Bitte setze deinen Bericht fort.«
»Nun, zurück zu meinen Vermutungen«, setzte ich an. »Als Eric zu dem Schluß kam, der Thron habe nun lange genug leer gestanden und es wäre Zeit, danach zu greifen, muß er sich zugleich überlegt haben, daß meine Amnesie nicht ausreichte und daß es besser wäre, meinen Anspruch ein für allemal zu unterbinden. Daraufhin sorgte er dafür, daß ich auf der Schatten-Erde in einen Unfall verwickelt wurde, der tödlich hätte sein müssen – es aber nicht war.«
»Woher weißt du das alles? Wieviel vermutest du nur?«
»Als ich sie später befragte, hat Flora diesen Plan gewissermaßen eingestanden – einschließlich ihrer Rolle dabei.«
»Sehr interessant. Sprich weiter.«
»Der Schlag auf den Kopf sorgte für etwas, das mir nicht einmal Sigmund Freud hatte verschaffen können«, fuhr ich fort. »Erinnerungsfetzen regten sich in mir, die mit der Zeit immer stärker wurden – besonders als ich Flora wiedersah und allen möglichen Dingen ausgesetzt wurde, die mein Gedächtnis anregten. Ich überzeugte Flora schließlich, daß ich mich wieder an alles erinnern konnte, und brachte sie dazu, offen über Menschen und Umstände zu sprechen. Dann tauchte Random auf. Er war auf der Flucht vor etwas ...«
»Auf der Flucht? Wovor? Warum?«
»Vor irgendwelchen seltsamen Kreaturen aus den Schatten. Den Grund habe ich nie erfahren.«
»Interessant«, meinte er, und ich mußte ihm zustimmen. In meiner Zelle hatte ich oft darüber nachgedacht und mich gefragt, warum wohl Random, von den Furien gehetzt, überhaupt auf der Bühne erschienen war. Vom Augenblick unserer Begegnung an bis zu unserer Trennung hatten wir in einer Art Gefahr geschwebt; ich war zu der Zeit mit meinen eigenen Sorgen beschäftigt, und er hatte nichts verlauten lassen über die Gründe für sein plötzliches Auftauchen. Ich hatte mir im Augenblick seines Erscheinens natürlich Gedanken gemacht, doch ich wußte nicht, ob es sich um etwas handelte, das ich hätte wissen sollen, und ließ die Frage zunächst offen. Die späteren Ereignisse lenkten mich davon ab, bis ich mich dann in der Zelle und jetzt in diesem Augenblick wieder damit
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