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Die Prinzen von Amber

Titel: Die Prinzen von Amber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Mühlrad.
    Sie wollte etwas sagen, doch ich unterbrach sie.
    »Schau hin«, sagte ich. »Du mußt nur schauen.«
    Und so standen wir da und starrten auf das Wirbeln, Plätschern und Drehen, während ich meine Gedanken ordnete. Dann sagte ich: »Komm«, ergriff sie am Ellbogen und ging mit ihr auf den Wald zu.
    Als wir uns zwischen den Bäumen bewegten, verdunkelte eine Wolke die Sonne, und die Schatten wurden tiefer. Die Stimmen der Vögel klangen schriller, und Feuchtigkeit stieg aus dem Boden auf. Wir gingen von Baum zu Baum, und die Blätter wurden länger und breiter. Als die Sonne zurückkehrte, wirkte ihr Licht gelber, und hinter einer Wegbiegung stießen wir auf Pflanzenranken. Die Stimmen der Vögel erklangen nun zahlreicher und heiserer. Der Weg führte plötzlich bergan, und ich geleitete sie an einer Steinformation vorbei auf höheres Gelände. Ein fernes, kaum vernehmliches Grollen schien sich hinter uns bemerkbar zu machen. Das Blau des Himmels veränderte sich, während wir über eine Lichtung schritten und eine große braune Eidechse verscheuchten, die sich auf einem Felsen gesonnt hatte. Als wir um eine andere Felsgruppe bogen, sagte sie: »Ich wußte gar nicht, daß es hier so etwas gibt. Dabei dachte ich, ich kenne mich gut aus, aber hier bin ich noch nie gewesen.« Doch ich antwortete ihr nicht, denn ich war mit meiner ganzen Willenskraft beschäftigt, die Substanz der Schatten zu verändern.
    Kurz darauf sahen wir uns wieder dem Wald gegenüber, doch jetzt führte der Weg hangaufwärts zwischen Bäumen hindurch. Die Bäume waren tropische Riesen, durchsetzt mit Farngewächsen, und neue Geräusche – Gebell, Zischen, Summen – wurden laut. Während wir weiter ausschritten, verstärkte sich das Grollen ringsum, der Boden begann förmlich davon zu vibrieren. Dara klammerte sich fester an meinen Arm; sie sagte nichts mehr, verschlang aber jedes Detail mit den Augen. Große, flache helle Blumen wuchsen im Unterholz zwischen Pfützen, in denen sich die von oben herabtropfende Feuchtigkeit niederschlug. Die Temperatur war ziemlich angestiegen, und wir schwitzten nicht wenig. Das Grollen wurde zu einem übermächtigen Tosen, und als wir an den Rand des Waldes kamen, wurden wir von dem Lärm bestürmt wie von ständigem Gewitterdonner.
    Ich führte das Mädchen an den Rand des Abgrunds und deutete in die Tiefe.
    Vor uns fiel der Wasserfall gut tausend Fuß hinab – ein mächtiger Katarakt, und der Fluß dröhnte unter dem mächtigen Aufprall wie ein Amboß. Die Strömung trug das Wasser kraftvoll dahin, ließ Luftblasen und mächtige Gischtwolken über weite Strecken wirbeln, ehe sie sich schließlich auflösten. Uns gegenüber, etwa eine halbe Meile entfernt, halb verdeckt durch Regenbogen und Wasserdunst, einer von Riesenhand geformten Insel ähnlich, rotierte langsam ein gigantisches Rad, bedächtig und schimmernd. Hoch über uns ließen sich große Vögel wie schwebende Kruzifixe in den Luftströmungen dahintreiben.
    Wir verweilten ziemlich lange an dieser Stelle. Ein Gespräch war unmöglich, was mir nur recht sein konnte. Als sie sich schließlich von dem Bild abwandte, um mich mit zusammengekniffenen Augen abschätzend anzusehen, nickte ich und deutete mit den Augen wieder auf den Wald. Wir machten kehrt und schritten in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
    Bei der Rückkehr liefen dieselben Vorgänge umgekehrt ab, wobei ich es nicht ganz so schwer hatte. Als wir endlich wieder sprechen konnten, schwieg Dara dennoch, da sie offenbar inzwischen erkannt hatte, daß ich ein Teil der Veränderungsprozesse war, die ringsum abliefen.
    Erst als wir wieder an dem alten Fluß standen und das kleine Mühlrad beobachteten, ergriff sie das Wort.
    »War das ein Ort wie das Dorf?«
    »Ja. Ein anderer Schatten desselben Orts.«
    »Und wie Amber?«
    »Nein. Amber wirft diese Schatten. Wenn man sich darauf versteht, läßt es sich in jede gewünschte Form bringen. Jener Ort war ein Schatten, ebenso dein Dorf – und auch
dieses
Fleckchen ist ein Schatten. Jeder Ort, den du dir nur vorstellen kannst, existiert irgendwo in den Schatten, du mußt nur die Kunst beherrschen, dorthin zu gelangen.«
    »... Und du und Großvater und die anderen – ihr könnt euch in diesen Schatten bewegen und euch nehmen und aussuchen, was ihr wollt?«
    »Ja.«
    »Und ich habe dasselbe getan, als ich aus dem Dorf zurückkehrte?«
    »Ja.«
    Ihr Gesicht war eine Studie aufdämmernder Erkenntnis. Ihre fast schwarzen Augenbrauen

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