Die Prinzen von Amber
entlegenen Ort zurückgekehrt sein. Die Leute in der Stadt hatten von Benedicts Verstümmelung gewußt. Diese Art Nachricht verbreitet sich immer sehr schnell. Doch ich wollte nicht derjenige sein, der ihr davon erzählte.
»Mach daraus, was du willst«, sagte ich. »Wo bist du gewesen?«
»Im Dorf«, erwiderte sie. »In den Bergen. Großvater hat mich dorthin gebracht, zu Freunden, die Tecys heißen. Kennst du die Tecys?«
»Nein.«
»Ich bin schon früher dortgewesen«, erzählte sie. »Er bringt mich immer ins Dorf, wenn es hier Probleme gibt. Der Ort hat keinen Namen. Ich nenne ihn einfach Dorf. Alles ist dort irgendwie seltsam – die Leute, das Dorf. Sie scheinen uns irgendwie anzubeten. Sie behandeln mich, als wäre ich etwas Göttliches, und antworten nie richtig auf meine Fragen. Der Ritt dorthin ist nicht lang, aber die Berge sind ganz anders, der Himmel ist ganz anders, alles! – und es ist, als gäbe es keinen Weg zurück, sobald ich einmal dort bin. Schon früher habe ich versucht, aus eigener Kraft zurückzukehren, aber dabei habe ich mich nur verirrt. Stets mußte Großvater mich holen kommen, und dann machte der Weg keine Probleme. Die Tecys folgen allein seinen Anweisungen und verraten mir nichts. Sie behandeln ihn, als wäre er eine Art Gott.«
»Das ist er auch«, sagte ich. »Für sie.«
»Du hast gesagt, du kennst sie nicht.«
»Das brauche ich auch nicht. Aber ich kenne Benedict.«
»Wie schafft er das? Sag´s mir.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie hast du es denn geschafft?« fragte ich sie. »Wie hast du diesmal zurückkehren können?«
Sie leerte ihr Glas und hielt es mir hin. Als ich es vollgeschenkt hatte und mein Blick ihrem Blick begegnete, hatte sie den Kopf auf die rechte Seite gelegt und die Stirn gerunzelt; ihre Augen blickten in die Ferne.
»Eigentlich weiß ich es nicht«, sagte sie, hob das Glas und kostete von dem Wein. »Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es überhaupt angefangen habe ...«
Mit der linken Hand begann sie an ihrem Messer herumzuspielen und nahm es schließlich zur Hand.
»Ich war wütend, ausgesprochen wütend, daß er mich wieder einmal aus dem Weg geschafft hatte«, fuhr sie fort. »Ich sagte ihm, ich wolle hierbleiben und kämpfen, doch er ritt mit mir aus, und nach einer Weile trafen wir im Dorf ein. Ich weiß nicht, wie. Es war kein langer Ritt, doch plötzlich waren wir am Ziel. Ich kenne die Gegend. Immerhin bin ich hier geboren und aufgewachsen. Ich bin überallhin geritten, Hunderte von Meilen in allen Richtungen. Doch auf diesen Ausflügen habe ich das Dorf niemals finden können. Verstehst du:
niemals.
Trotzdem kam
es
mir so vor, als wären wir nur kurze Zeit unterwegs gewesen, und plötzlich waren wir wieder bei den Tecys. Allerdings waren seit meinemletzten Besuch mehrere Jahre vergangen, und mit dem Älterwerden hat sich auch mein Wille gefestigt. Ich beschloß, allein zurückzukehren.«
Mit dem Messer kratzte sie nun in der Erde neben sich herum, anscheinend achtlos.
»Ich wartete bis zum Einbruch der Dunkelheit«, erzählte sie, »und betrachtete die Sterne, die mir einen Anhalt geben sollten. Es war ein unheimliches Gefühl. Die Sterne sahen ganz anders aus! Ich vermochte keine einzige Konstellation zu erkennen. Ich ging ins Haus zurück und dachte darüber nach. Ich hatte ein wenig Angst und wußte nicht, was ich tun sollte. Den nächsten Tag verbrachte ich mit dem Versuch, die Tecys und die anderen Leute im Dorf zu befragen.
Aber das Ganze war wie ein böser Traum. Entweder waren die Menschen strohdumm, oder sie legten es bewußt darauf an, mich zu verwirren. Es gab nicht nur keinen Weg von dort nach hier, sie hatten auch keine Ahnung, wo das ›Hier‹ lag und waren sich über das ›Dort‹ noch weniger im klaren. In dieser Nacht sah ich mir von neuem die Sterne an, um mich zu vergewissern, was ich da gesehen hatte – und da war ich fast bereit, den Leuten zu glauben.«
Sie bewegte das Messer hin und her, als versuche sie es zu schleifen. Dabei glättete sie den Boden und klopfte ihn fest. Dann begann sie Linien zu zeichnen.
»In den nächsten Tagen versuchte ich den Rückweg zu finden«, setzte sie ihren Bericht fort. »Ich hoffte unseren Weg finden und ihm folgen zu können – doch er verschwand einfach irgendwie, ich weiß nicht, wie. Dann tat ich das einzige, was mir noch einfiel. Jeden Morgen ritt ich in einer anderen Richtung davon, ritt bis zur Mittagsstunde und kehrte um. Doch nichts kam mir bekannt vor. Die ganze
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