Die Prinzen von Amber
mochte oder nicht. Sie hatte herrliches Haar, blaue Augen und ausreichend Eitelkeit, um alles aus der ihr genehmen Perspektive zu sehen. Zuweilen schien sie ausgesprochen dumm zu handeln, doch dann gab es wieder Augenblicke, da ich über ihre Entschlüsse staunte.
»Entschuldige, daß ich dich so anstarre«, sagte ich. »Doch als wir das letztemal zusammen waren, konnte ich dich nicht sehen.«
»Ich bin sehr glücklich, daß du wieder sehen kannst. Blindheit muß schrecklich sein«, erwiderte sie. »Es war ziemlich ... Jedenfalls konnte ich es nicht verhindern.«
»Ich weiß«, sagte ich und dachte an ihr Lachen von der anderen Seite der Dunkelheit bei einem der Jahrestage des großen Ereignisses. »Ich weiß.«
Ich trat ans Fenster und öffnete es in dem sicheren Wissen, daß der Regen nicht zu uns hereindringen würde. Ich liebe den Geruch von Unwettern.
»Random, hast du etwas Interessantes erfahren über den mutmaßlichen Briefeschreiber?« erkundigte ich mich.
»Eigentlich nicht«, sagte er. »Ich habe Erkundigungen eingezogen. Niemand scheint an besagtem Ort zu besagter Zeit jemanden gesehen zu haben.«
»Ich verstehe. Vielen Dank. Vielleicht sprechen wir uns später noch.«
»Schön«, sagte er. »Ich werde ohnehin den Abend in meinem Zimmer verbringen.«
Ich nickte, wandte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Fensterbank und beobachtete Flora. Random schloß die Tür leise hinter sich. Eine halbe Minute lang lauschte ich auf den Regen.
»Was willst du mit mir anstellen?« wollte Flora schließlich wissen.
»Anstellen?«
»Du bist neuerdings in der Lage, alte Schulden einzutreiben. Vermutlich soll es damit jetzt losgehen.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Doch die meisten Dinge hängen von anderen Dingen ab – das ist hier und jetzt nicht anders.«
»Was soll das heißen?«
»Gib mir, was ich will – dann werden wir sehen. Ab und zu kann ich sogar nett sein.«
»Was willst du von mir?«
»Die Geschichte, Flora. Fangen wir einmal damit an. Wie du in jenem Schatten auf der Erde meine Wächterin wurdest. Alle wichtigen Einzelheiten. Wie lautete die Vereinbarung? Was hattet ihr abgesprochen? Das ist alles.«
Sie seufzte.
»Es begann ...«, sagte sie. »Ja ... es war in Paris, bei der Party eines gewissen Monsieur Focault. Etwa drei Jahre vor den Schrecknissen ...«
»Moment!« sagte ich. »Was tatest du dort?«
»Ich hatte mich etwa fünf Jahre Ortszeit in jener Schattengegend aufgehalten«, sagte sie. »Ich war auf der Suche nach etwas Neuem herumgewandert, nach etwas, das meine Unruhe stillen konnte. Und jenen Ort fand ich damals ohne besondere Umstände. Ich ließ mich von meinen Wünschen lenken und folgte meinen Instinkten.«
»Ein seltsamer Zufall.«
»Nicht wenn man die darauf verwendete Zeit bedenkt – und die vielen Reisen, die wir im allgemeinen machen. Dieser Schatten war, wenn du so willst, mein Avalon, mein Amber-Ersatz, meine zweite Heimat. Nenn ihn, wie du willst, jedenfalls bist du damals an jenem Oktoberabend mit der kleinen Rothaarigen bei der Party aufgekreuzt – ich glaube, sie hieß Jacqueline.«
Ja, das brachte Erinnerungen aus der Tiefe hoch, Erinnerungen, auf die ich sehr lange nicht mehr zurückgegriffen hatte. Dabei erinnerte ich mich an Jacqueline viel klarer als an Focaults Party.
»Sprich weiter.«
»Wie gesagt«, fuhr sie fort. »Ich war dort. Du kamst später. Natürlich wurde ich sofort auf dich aufmerksam. Wenn man lange genug lebt und ziemlich viel reist, trifftman gelegentlich auf eine Person, die große Ähnlichkeit mit einem Bekannten hat. Das war mein Gedanke nach der ersten Aufregung. Bestimmt war das nur ein Doppelgänger! Es war sehr viel Zeit vergangen. Ich war lange ohne ein Wort von dir gewesen. Doch wir alle haben unsere Geheimnisse und gute Gründe für diese Geheimnisse. Hier war vielleicht eines deiner Geheimnisse. Ich sorgte dafür, daß wir einander vorgestellt wurden, und hatte anschließend große Mühe, dich für ein paar Minuten von dem rothaarigen Teufel zu trennen. Und du bestandest darauf, Fenneval zu heißen – Cordell Fenneval. Ich war unsicher. Ich konnte mir nicht schlüssig werden, ob du ein Doppelgänger warst oder du selbst in einer deiner Rollen. Allerdings ging mir auch die dritte Möglichkeit durch den Kopf – daß du nämlich eine ausreichend lange Zeit in benachbarten Schatten gelebt hattest, um eigene Schatten auszuwerfen. Vielleicht hätte ich die Party im Ungewissen verlassen, wenn Jacqueline nicht mir
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