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Die Prinzen von Amber

Titel: Die Prinzen von Amber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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lokalen apokalyptischen Legende entspräche. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht hatte es sich um die Woge des Chaos gehandelt, von der Brand gesprochen hatte, in diese Richtung schwenkend, vorbeischwemmend, vernichtend, alles auflösend. Dieses Ende des Tals war allerdings unberührt geblieben. Warum?
    Dann erinnerte ich mich an mein Vorgehen beim Verlassen der Höhle. Ich hatte die Macht des Juwels eingesetzt, um das Unwetter aus diesem Gebiet fernzuhalten. Was war, wenn es sich tatsächlich um mehr als ein normales Unwetter gehandelt hatte? Nicht zum erstenmal hätte sich das Muster gegen das Chaos durchgesetzt. War dieses Tal, in dem ich den Regen gestoppt hatte, inzwischen nur noch eine kleine Insel in einem ganzen Ozean des Chaos? Und wenn dem so war, wie sollte ich weiterkommen?
    Ich blickte nach Osten, von wo sich der Tag aufhellte. Keine eben aufgegangene Sonne stand am Himmel, dafür eine ziemlich große, grellblanke Krone, ein schimmerndes Schwert in ihrer Mitte. Irgendwo sang ein Vogel, Töne, die beinahe wie Gelächter klangen. Ich beugte mich vor und barg das Gesicht in den Händen. Wahnsinn ...
    Nein! Ich war schon oft in unheimlichen Schatten gewesen. Je weiter man kam, desto seltsamer wurden sie zuweilen. Bis ... Was war mir an jenem Abend in Tir-na Nog´th durch den Kopf gegangen?
    Zwei Zeilen aus einer Erzählung Isak Dinesens kamen mir in den Sinn, Zeilen, die mich soweit beunruhigt hatten, daß ich sie mir einprägen mußte, trotz der Tatsache, daß ich damals als Carl Corey gereist war: »... Nur wenige Menschen können von sich behaupten, von dem Glauben frei zu sein, daß die Welt, die sie ringsum sehen, in Wirklichkeit das Produkt ihrer eigenen Phantasie ist. Sind wir folglich zufrieden damit und stolz darauf?« Eine Zusammenfassung des liebsten Zeitvertreibs unserer Familie in Sachen Philosophie. Erschaffen wir die Schattenwelten? Oder sind sie bereits vorhanden, unabhängig von uns, und erwarten unser Kommen? Oder gibt es da eine bisher übersehene Mitte? Ist das Ganze eher eine Frage des Mehr oder Weniger als des Entweder-Oder? Ein trockenes Lachen stieg mir in der Kehle auf, als ich erkannte, daß ich die Antwort vielleicht nie finden würde. Und doch hatte ich mir schon in jener Nacht überlegt, daß es einen Ort geben mußte, einen Ort, da das Ich sein Ende findet, einen Ort, da Solipsismen keine plausible Erklärung mehr sind für die Örtlichkeiten, die wir aufsuchen, für die Dinge, die wir dort finden. Die Existenz dieses Ortes, dieser Dinge, sagt uns, daß zumindest hier ein Unterschied besteht; und wenn es diesen Unterschied hier gibt, dann wirkt er vielleicht auch zurück durch unsere Schatten, tränkt sie mit dem Nicht-Ich und drängt unsere Egos damit auf eine kleinere Bühne zurück. Ich spürte, daß dies ein solcher Ort war, ein Ort, da das »Sind wir folglich zufrieden damit und stolz darauf?« nicht gültig war, so wie das zerstörte Tal von Garnath und mein Fluch unweit der Heimat. Was immer ich auch letztlich annehmen mochte, ich spürte, daß ich im Begriff stand, das Land des totalen Nicht-Ichs zu betreten. Mein Einfluß über die Schatten mochte an diesem Punkt sein Ende finden.
    Ich richtete mich wieder auf und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Helligkeit. Ich gab Star ein Kommando und schüttelte die Zügel. Wir ritten weiter.
    Einen Augenblick lang fühlte es sich so an, als bewegten wir uns im Nebel. Nur war es erheblich heller, und ringsum war kein Laut zu hören. Dann begannen wir zu fallen.
    Zu fallen oder zu treiben. Nach dem ersten Erschrecken war das kaum genauer zu sagen. Zuerst kam ein Gefühl des Höhenverlustes, vielleicht verstärkt durch den Umstand, daß Star in Panik geriet. Doch seine auskeilenden Hufe fanden keinen Halt, und nach einiger Zeit bewegte sich Star überhaupt nicht mehr, bis auf sein Zittern und die schweren Atemzüge.
    Ich hielt die Zügel mit der rechten Hand und umklammerte das Juwel mit der linken. Ich weiß nicht, welche Befehle mein Wille ausstrahlte oder wie ich das Juwel zum Wirken brachte; mir war nur klar, daß ich diesen Ort grellen Nichts durchqueren wollte, um meinen Weg wiederzufinden und an das Ziel meiner Expedition zu gelangen.
    Ich verlor jedes Zeitgefühl. Ich hatte nicht mehr den Eindruck, daß wir stürzten. Kam ich überhaupt voran, oder schwebte ich nur auf der Stelle? Es gab keine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten. War die Helligkeit noch immer nur Helligkeit? Und die tödliche Stille ... Ich

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