Die Prinzen von Amber
Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Osten – zur
Schwarzen Straße hinüber.
»Ich verstehe«, sagte ich.
Die Speisen und der Wein im Korb sahen sehr real aus: frisch und appetitlich, auf jeden Fall besser als meine Wegzehrung. Natürlich war ich mißtrauisch. »Du ißt mit?« fragte ich.
»Wenn du willst.«
»Ja.«
»Na schön.«
Sie breitete ein Tuch aus, nahm mir gegenüber Platz, holte die Speisen aus dem Korb und deckte zwischen uns. Ohne zu zögern, begann sie dann zu essen. Ich kam mir ein wenig schäbig vor – aber nur ein wenig. Immerhin war dies ein seltsamer Wohnort für eine Frau, die anscheinend allein lebte und offenbar nur darauf wartete, den ersten Fremden, der des Weges kam, zu bewirten. Auch Dara hatte uns bei unserer ersten Begegnung zu essen gegeben, und da ich vermutlich dem Ende meiner Reise nahe war, konnten die Machtzentren des Feindes nicht mehr weit sein. Die Schwarze Straße war ungemütlich nahe, und ich erwischte Lady mehrmals dabei, wie sie das Juwel betrachtete.
Trotzdem verbrachten wir eine angenehme Zeit und lernten uns im Verlaufe der Mahlzeit auch besser kennen. Sie war das ideale Publikum, lachte und brachte mich dazu, über mich selbst zu sprechen. Dabei blickte sie mir oft tief in die Augen und irgendwie schaffte sie es, daß wir uns immer wieder an den Fingern berührten, wenn wir uns etwas reichten. Wenn ich hier umgarnt wurde, dann auf sehr angenehme Weise.
Während des Essens und Sprechens hatte ich die ständig näherrückende Unwetterfront nicht aus dem Auge gelassen. Die finstere Linie hatte schließlich den Berggipfel überwunden und bewegte sich nun langsam von den oberen Hängen herab. Als Lady das Tuch zusammenfaltete, bemerkte sie meinen Blick und nickte.
»Ja, es kommt«, sagte sie, tat die letzten Utensilien wieder in den Korb und setzte sich mit Flasche und Trinkbechern neben mich. »Wollen wir darauf trinken?«
»Ich trinke gern mit dir – aber nicht darauf.«
Sie schenkte ein.
»Es kommt nicht darauf an«, sagte sie. »Nicht mehr.« Und sie legte mir die Hand auf den Arm und reichte mir den Becher.
Ich ergriff ihn und blickte auf sie hinab. Sie lächelte. Sie stieß mit ihrem Becher gegen den meinen. Wir tranken.
»Komm in mein Zelt!« sagte sie und ergriff meine Hand. »Dort verbringen wir die Stunden, die uns noch bleiben, auf angenehme Weise.«
»Vielen Dank«, gab ich zurück. »Zu jeder anderen Zeit wäre das ein herrlicher Nachtisch für eine großartige Mahlzeit. Leider muß ich weiter. Die Pflicht ruft, die Zeit eilt dahin, ich habe eine Mission.«
»Na schön«, sagte sie. »So wichtig ist es nicht. Und ich weiß alles über deine Mission. Inzwischen ist die auch nicht mehr so wichtig.«
»Oh? Ich muß gestehen, daß ich durchaus damit gerechnet hatte, du würdest mich zu einer kleinen Privatfeier einladen, die dazu führen mußte, daß ich irgendwo an einem einsamen Hügel allein herumirrte.« Sie lachte. »Und ich muß gestehen, daß ich die Absicht hatte, so vorzugehen, Corwin. Aber das ist vorbei.«
»Warum?«
Sie deutete auf die vorrückende Linie der Zerstörung.
»Es ist nicht mehr erforderlich, dich aufzuhalten. Ich schließe daraus, daß die Mächte des Chaos gesiegt haben. Niemand könnte das Vorrücken des Chaos noch aufhalten.«
Ich erschauderte, und sie füllte unsere Becher nach.
»Ich würde es aber trotzdem vorziehen, wenn du mich in einem solchen Augenblick nicht verließest«, fuhr sie fort. »In wenigen Stunden wird es hier sein. Wie könnte man diese Zeit besser zubringen als in der Gesellschaft des anderen? Wir brauchten ja nicht einmal in mein Zelt zu gehen.«
Ich neigte den Kopf, und sie rückte neben mich. Ach was! Eine Frau und eine Flasche – so hatte ich nach eigenem Bekunden mein Leben stets beenden wollen. Ich trank einen Schluck Wein. Wahrscheinlich hatte sie recht. Doch mußte ich an das Frauenwesen denken, das mich beim Verlassen Avalons auf der schwarzen Straße umgarnt hatte. Zuerst hatte ich ihr helfen wollen und war dann ihrem unnatürlichen Charme schnell erlegen – als dann ihre Maske fiel, mußte ich erkennen, daß sich nicht das geringste dahinter befand. Das hatte mir damals einen großen Schreck eingejagt. Aber schließlich hat jeder ein ganzes Regal voller Masken für verschiedene Anlässe – wenn man es mal nicht zu philosophisch betrachten will. Ich habe Psychologen oft dagegen wettern hören. Dennoch habe ich Menschen kennengelernt, die zunächst einen guten Eindruck
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