Die Prinzen von Amber
erfüllt, und als ich den Paß verließ, blickte ich in ein Tal hinab, in dem die Perspektive nicht mehr stimmte, in dem sich keine Entfernungen mehr berechnen ließen: ein Tal, angefüllt mit natürlich aussehenden Spitzen und Minaretten, das mondähnliche Licht der Himmelsstreifen reflektierend, mich an eine Nacht in Tir-na Nog´th erinnernd; dazwischen erhoben sich silbrige Bäume, leuchteten spiegelähnliche Teiche, wehten gespenstische Nebelschwaden. Das Tal schien an manchen Stellen zu künstlichen Terrassen geformt, an anderen in natürlichen Wellen zu verlaufen, durchschnitten von einer Linie, die eine Fortsetzung des Weges zu sein schien, auf dem ich mich bewegte, ansteigend und sich wieder senkend, das Ganze von einer seltsam elegischen Atmosphäre erfüllt, belebt durch unerklärliche Glanzlichter und Reflexionspunkte, bar jeder Spur von Besiedlung.
Ich zögerte nicht, den Abstieg zu beginnen. Der Boden ringsum war kreideweiß und glatt wie Knochen und – entdeckte ich dort zur fernen Linken die Linie einer schwarzen Straße? Ich vermochte sie nur vage auszumachen.
Ich ritt ohne Eile, da ich spürte, daß Star zu ermüden begann. Wenn das Unwetter nicht zu schnell nachrückte, konnten wir vielleicht an einem der Teiche im Tal rasten. Ich war ebenfalls erschöpft und hungrig.
Auf dem Weg nach unten hielt ich die Augen offen, bekam aber keine Menschen oder Tiere zu Gesicht. Der Wind erzeugte ein leises Seufzen. Als ich die tiefere Zone des Tals erreichte, wo sich normales Blattwerk ausbreitete, entdeckte ich weiße Blumen, die sich zwischen den Ranken am Wegrand bewegten. Zurückschauend erkannte ich, daß die Regenfront den Berggipfel noch nicht überschritten hatte. Allerdings türmten sich die Wolken schon steil dahinter auf.
Ich drang tiefer in die seltsame Welt ein. Schon seit längerer Zeit fielen keine Blumen mehr nieder, doch noch immer lag ein angenehmer Duft in der Luft. Außer den Geräuschen, die wir erzeugten, und dem Säuseln des beständigen Windes war nichts zu hören. Absonderliche Felsformationen erhoben sich auf allen Seiten; in der Reinheit ihrer Linien hatten sie beinahe etwas Künstliches. Unentwegt trieb Nebel durch das Tal. Das helle Gras schimmerte feucht.
Während ich dem Weg zur bewaldeten Talmitte folgte, veränderte sich laufend die Perspektive, Entfernungen verschoben sich, Panoramen wirkten verzerrt. Ich bog schließlich vom Weg nach links ab, um zu einem scheinbar nahegelegenen See zu reiten, der sich dann jedoch vor mir zurückzuziehen schien. Als ich ihn erreichte, abstieg und einen Finger in das Naß tauchte, schmeckte das Wasser eiskalt und süß.
Nachdem ich getrunken hatte, verweilte ich eine Zeitlang ausgestreckt auf dem Boden und schaute Star beim Grasen zu, ehe ich mir aus meiner Tasche eine kalte Mahlzeit zusammenstellte. Das Unwetter mühte sich noch immer über die Berge. Ich starrte lange darauf und beschäftigte mich mit der Erscheinung. Wenn Vater sein Ziel wirklich nicht erreicht hatte, dann tönte da hinten das Grollen von Armageddon, dann war mein ganzer Ritt sinnlos geworden. Solche Gedanken waren aber müßig, denn ich mußte ja unter allen Umständen weiter. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Es konnte sein, daß ich mein Ziel erreichte, daß ich mitbekam, wie die große Schlacht gewonnen wurde, nur um dann Zeuge zu werden, wie alles davongeschwemmt wurde. Sinnlos ... Nein. Nicht sinnlos. Wenigstens hatte ich dann den Versuch gemacht, diese Entwicklung abzuwenden, und ich würde es bis zum Schluß weiter versuchen. Das war genug, auch wenn alles andere verloren ging. Verdammter Brand! Daß er ...
Ein Schritt.
Im nächsten Augenblick hatte ich mich sprungbereit hingehockt und starrte mit gezogener Klinge in die Richtung, aus der mir möglicherweise Gefahr drohte.
Eine Frau stand vor mir, klein, weißgekleidet. Sie hatte langes, dunkles Haar und wilde, dunkle Augen und lächelte mich an. Über dem Arm trug sie einen Flechtkorb, den sie zwischen uns auf den Boden stellte.
»Du mußt hungrig sein, Ritter«, sagte sie in einem seltsamen Thari-Dialekt. »Ich habe dich kommen sehen und dir dies gebracht.«
Ich lächelte und entspannte mich.
»Vielen Dank«, antwortete ich. »Ich bin wirklich hungrig. Mein Name ist Corwin. Und wie heißt du?«
»Lady«, entgegnete sie.
Ich hob eine Augenbraue. »Vielen Dank – Lady. Du lebst an diesem Ort?«
Sie nickte und kniete nieder, um den Korb zu öffnen.
»Ja, mein Zelt steht da weiter hinten am See.«
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