Die Prinzen von Amber
irgendwie losgelöst. In letzter Zeit war einfach zuviel geschehen. Ich vermochte die jüngsten Ereignisse nicht mehr zu überschauen. Mein Bestreben ging dahin, mich an einen ruhigen Ort zu verkriechen und einmal rund um die Uhr zu schlafen. Statt dessen folgte ich Random an eine Stelle, wo noch ein kleines Lagerfeuer glomm.
Er stocherte in der Asche herum und warf einige Holzstücke hinein. Dann setzte er sich daran und nickte mir zu. Ich nahm neben ihm Platz.
»Diese Königswürde«, begann er. »Was soll ich tun, Corwin? Ich bin völlig unvorbereitet.«
»Tun? Du wirst dich wahrscheinlich recht gut schlagen«, erwiderte ich.
»Meinst du, es gibt viele Ressentiments?«
»Wenn es sie gibt, so sind sie nicht an die Oberfläche gekommen«, antwortete ich. »Du bist eine gute Wahl, Random. In letzter Zeit ist soviel geschehen ... Vater hat uns im Grunde gut beschützt, vielleicht mehr, als für uns gut war. Der Thron ist bestimmt keine leichte Aufgabe. Du mußt dich auf eine schwere Zeit gefaßt machen. Und das haben die anderen meiner Meinung nach erkannt.«
»Und du?«
»Ich strebte nur danach, weil auch Eric es tat. Damals war mir das nicht klar, aber es stimmt. Es war der Siegespreis in einem Spiel, das wir die Jahre über gespielt haben. Eigentlich das Ende einer Vendetta. Und ich hätte ihn dafür umgebracht. Heute bin ich froh, daß er einen anderen Tod gefunden hat. Wir waren uns ähnlicher, als wir verschieden waren, er und ich. Auch das erkannte ich erst viel später. Nach seinem Tod jedoch stieß ich immer wieder auf Gründe, die dagegen sprachen, den Thron zu übernehmen. Endlich ging mir auf, daß ich das in Wirklichkeit auch gar nicht wollte. Nein. Du sollst die Macht haben. Herrsche gut, Bruder! Ich bin sicher, daß dir das gelingt.«
»Wenn Amber noch existiert«, sagte er nach kurzem Schweigen, »will ich es versuchen. Komm, erledigen wir die Sache mit dem Juwel. Das Unwetter rückt unangenehm nahe.«
Ich nickte und nahm ihm den Stein aus den Fingern. Ich hielt das Juwel an der Kette in die Höhe, so daß sich das Feuer dahinter befand. Das Licht schimmerte hindurch, das Innere schien völlig klar zu sein.
»Beug dich vor und blicke mit mir in das Juwel!« sagte ich.
Er kam der Aufforderung nach, und während wir beide den Stein anstarrten, fuhr ich fort: »Denk an das Muster!« Gleichzeitig begann ich ebenfalls daran zu denken und versuchte, mir seine Windungen und Wirbel, seine bleichschimmernden Linien vorzustellen.
Im Mittelpunkt des Steins glaubte ich einen schwachen Makel auszumachen. Während ich mir das Hin und Her der Linien, die Drehungen und Biegungen vorstellte, beschäftigte ich mich auch mit dieser feinen Verfärbung ... ich stellte mir die Energie vor, die mich durchströmte, sobald ich diesen komplizierten Weg in Angriff nahm.
Die Verfärbung des Steins nahm immer mehr zu.
Ich richtete meinen Willen darauf, ließ die Erscheinung zur vollen Reife gedeihen. Dabei überkam mich ein vertrautes Gefühl – wie an jenem Tag, da ich mich auf das Juwel eingestimmt hatte. Ich konnte nur hoffen, daß ich kräftig genug war, um diese Erfahrung noch einmal durchzumachen.
Ich hob die Hand und packte Randoms Schulter.
»Was siehst du?« fragte ich ihn.
»Etwas, das dem Muster ähnlich ist«, antwortete er, »nur scheint es dreidimensional zu sein. Es befindet sich am Grunde eines roten Meeres ...«
»Dann komm mit!« sagte ich. »Wir müssen dorthin.«
Wieder das Gefühl der Bewegung, zuerst ein Dahintreiben, dann ein sich immer mehr beschleunigender Sturz in Richtung auf die nie ganz klar erschauten Windungen des Musters im Juwel. Ich trieb uns mit Willenskraft voran, die Gegenwart meines Bruders neben mir spürend, und der rötliche Schein, der uns einhüllte, wurde dunkler, wurde zur Schwärze eines Nachthimmels. Das Muster wuchs mit jedem dröhnenden Herzschlag weiter an. Aus irgendeinem Grund lief dieser Vorgang müheloser ab als früher – vielleicht, weil ich bereits eingestimmt war.
Random neben mir spürend, zog ich ihn mit, während der vertraute Umriß anwuchs und der Eintrittspunkt sich abzeichnete. Während wir in diese Richtung gezogen wurden, versuchte ich noch einmal die Totalität dieses Musters zu erfassen und verlor mich von neuem in Erscheinungen, bei denen es sich um die mehrdimensionalen Verquickungen des Musters handeln mußte. Gewaltige Kurven und Spiralen und verknotet wirkende Linien wanden sich vor uns durcheinander. Ein Gefühl der Ehrfurcht, wie ich
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