Die Prinzen von Amber
Ort zum Verweilen suchen, einen Ort, der einem anderen Ort ähnlich war – einem Ort, den es nicht mehr gab. Ich machte den richtigen Weg ausfindig. Ich schlug ihn ein.
Kurze Zeit später verweilte ich an einem großen Hohlbaum, mit dessen Vorhandensein ich gerechnet hatte. Ich griff hinein, nahm meine versilberte Klinge heraus und gürtete sie um. Es zählte nicht, daß sich die Waffe irgendwo in Amber befunden hatte – jetzt war sie hier, denn der Wald, durch den ich schritt, befand sich in den Schatten.
Ich wanderte mehrere Stunden lang dahin; die unsichtbare Sonne stand dabei irgendwo links hinter mir. Dann ruhte ich mich eine Zeitlang aus und marschierte weiter. Ein hübscher Anblick, die Blätter und Felsen und die toten Baumstümpfe, die lebenden Stämme, das Gras, die dunkle Erde. Es war angenehm, all die zarten Gerüche des Lebens aufzunehmen und sein Summen, Surren und Zwitschern zu hören. Bei den Göttern! Wie teuer mir meine Augen waren? Nach fast vierjähriger Blindheit wieder sehen zu können, war einfach unbeschreiblich! Und mich in Freiheit zu bewegen ...
Mein zerschlissener Umhang flatterte im Morgenwind, während ich tüchtig ausschritt. Ich muß über fünfzig Jahre alt ausgesehen haben, mit meinem faltigen Gesicht, dem abgemagerten, dürren Körper. Wer hätte in mir den Mann erkannt, der ich wirklich war?
Meine Schritte führten mich durch die Schatten, auf einen Ort zu. Doch so sehr ich die Füße bewegte, so sehr ich durch die Schatten schritt, einem bestimmten Ort entgegen
– ich erreichte dieses Ziel nicht. Offenbar war ich doch etwas weichherzig geworden. Es geschah das folgende ...
Ich stieß auf sieben Männer am Straßenrand. Sechs waren tot, grausig zerstückelt. Der siebente lehnte halb zurückgeneigt mit dem Rücken am moosbedeckten Stamm einer alten Eiche. Er hielt die Klinge im Schoß, und an seiner rechten Flanke schimmerte eine große Wunde, aus der Blut strömte. Im Gegensatz zu etlichen Toten trug er keine Rüstung. Seine grauen Augen waren offen, wirkten allerdings ziemlich glasig. Die Knöchel seiner Schwerthand waren auf geschunden, und er atmete nur sehr langsam. Unter buschigen Brauen hervor beobachtete er die Krähen, die den Toten die Augen aushackten. Mich schien er nicht wahrzunehmen.
Ich streifte die Kapuze über und senkte den Kopf, um mein Gesicht zu verbergen. Dann trat ich näher.
Ich hatte ihn früher einmal gekannt – ihn oder einen Mann, der ihm sehr ähnlich war.
Als ich mich näherte, begann seine Klinge zu zucken; die Spitze wurde gehoben.
»Ich bin ein Freund«, sagte ich begütigend. »Möchtet Ihr einen Schluck Wasser?«
Er zögerte einen Augenblick lang und nickte dann.
»Ja.«
Ich öffnete meine Flasche und reichte sie ihm.
Er trank und hustete, setzte die Flasche erneut an.
»Sir, ich danke Euch«, sagte er und gab mir die Flasche zurück. »Ich bedaure nur, daß das Getränk nicht kräftiger war. Verdammte Wunde!«
»Auch damit bin ich versorgt. Seid Ihr sicher, daß Ihr so etwas vertragt?«
Er streckte die Hand aus. Ich entkorkte eine kleine Flasche und reichte sie ihm. Nach einem Schluck von dem Zeug
,
das Jopin immer trinkt, hustete er etwa zwanzig Sekunden lang.
Dann lächelte die linke Seite seines Mundes, und er blinzelte mir zu.
»Das ist schon viel besser«, sagte er. »Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich ein paar Tropfen davon auf die Wunde schütte? Ich verschwende ungern guten Whisky, aber ...«
»Nehmt alles, wenn Ihr müßt. Doch wenn ich es mir recht überlege – Eure Hand scheint ziemlich zittrig zu sein. Vielleicht sollte ich das lieber besorgen.«
Er nickte, und ich öffnete seine Lederjacke und schnitt mit dem Messer sein Hemd auf, bis ich die Wunde freigelegt hatte. Es war ein böse aussehender tiefer Schnitt, der sich einige Zentimeter über dem Hüftknochen bis zum Rükken herumzog. An Armen, Brust und Schultern hatte er weitere, weniger schlimme Verwundungen erlitten.
Aus der großen Öffnung quoll das Blut, ich tupfte es ab und wischte mit meinem Taschentuch die Wundränder sauber.
»Gut«, sagte ich. »Jetzt beißt die Zähne zusammen und wendet den Blick ab.« Ich ließ den Whisky herabtropfen.
Ein gewaltiger Ruck ging durch seinen Körper, dann sank er herab und begann zu zittern. Doch kein Laut kam über seine Lippen, womit ich auch nicht gerechnet hatte. Ich faltete das Taschentuch zusammen und drückte es mitten auf die Wunde. Dort band ich es mit einem langen Stoffstreifen fest, den ich mir
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