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Die Prinzen von Amber

Titel: Die Prinzen von Amber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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unten von meinem Umhang abgerissen hatte.
    »Noch einen Schluck?« fragte ich.
    »Wasser«, sagte er. »Dann muß ich wohl schlafen.«
    Er trank, dann neigte sich sein Kopf nach vorn, bis das Kinn auf der Brust ruhte. Er schlief ein, und ich machte ihm ein Kissen und bedeckte ihn mit den Mänteln der Toten.
    Schließlich saß ich an seiner Seite und beobachtete die hübschen schwarzen Vögel bei ihrem grausigen Mahl.
    Er hatte mich nicht erkannt. Aber wer konnte mich in meinem Zustand schon erkennen? Hätte ich mich ihm offenbart, wäre ihm mein Name vielleicht bekannt vorgekommen. Wir hatten uns wohl nie richtig kennengelernt, dieser Verwundete und ich. Doch auf eine seltsame Weise waren wir doch miteinander vertraut.
    Ich schritt durch die Schatten und suchte einen Ort, einen ganz besonderen Ort. Dieser Ort war vor langer Zeit zerstört worden, doch ich besaß die Macht, ihn wiedererstehen zu lassen, denn Amber strahlt eine Unendlichkeit von Schatten aus. Ein Kind Ambers – und das bin ich – kann sich zwischen den Schatten bewegen. Nennen Sie sie Parallelwelten, wenn Sie wollen, Alternativuniversen, wenn Ihnen das lieber ist, Produkte eines verwirrten Geistes, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Ich nenne sie Schatten, ich und auch alle anderen, die die Macht besitzen, sich inmitten dieser Erscheinungen zu bewegen. Wir erwählen eine Möglichkeit und schreiten aus, bis wir sie erreichen. Auf gewisse Weise erschaffen wir sie. Lassen wir es für den Augenblick dabei bewenden.
    Ich war über das Meer gefahren und hatte meinen Marsch nach Avalon begonnen.
    Vor vielen Jahrhunderten hatte ich dort gelebt. Das ist eine lange, komplizierte, stolze und schmerzhafte Geschichte, auf die ich später vielleicht noch eingehe – wenn ich in der Lage sein sollte, meinen Bericht solange fortzusetzen.
    Ich befand mich bereits in der Nähe Avalons, als ich den verwundeten Ritter und die sechs Toten fand. Wäre ich vorbeigegangen, hätte ich einen Ort erlangen können, da die sechs Toten am Straßenrand lagen und der Ritter unverwundet gewesen wäre – oder eine Stelle, da er tot war und sie lachend um ihn herumstanden. Manche Leute sind der Meinung, daß es darauf eigentlich gar nicht ankomme, da es sich bei all diesen Dingen nur um verschiedene Möglichkeiten handelte und es sie deshalb ausnahmslos irgendwo in den Schatten gibt.
    Meine Brüder und Schwestern – ausgenommen vielleicht Gérard und Benedict – hätten sich nicht weiter um den Vorfall gekümmert. Ich aber bin wohl etwas weich geraten. So war ich nicht immer, doch es kann sein, daß mich die Schatten-Erde, auf der ich so viele Jahre verbracht habe, ein wenig gemäßigt hat, und vielleicht erinnerte mich die Zeit in den Verliesen Ambers doch etwas an die schreckliche Pein menschlichen Leidens. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nicht an der Qual eines Mannesachtlos vorbeigehen konnte, der große Ähnlichkeit hatte mit einem guten Freund aus der Vergangenheit. Hätte ich dem Verwundeten meinen Namen ins Ohr gesagt, hätte er mich vielleicht verflucht; auf jeden Fall wäre mir eine Leidensgeschichte zu Ohren gekommen.
    Folglich gedachte ich den Preis zu zahlen: ich wollte ihn wieder hochpäppeln, dann aber meines Weges ziehen. Damit war kein Schaden anzurichten, und vielleicht wurde sogar etwas Gutes getan.
    Ich saß am Straßenrand und beobachtete ihn, und mehrere Stunden später erwachte er.
    »Hallo«, sagte ich und öffnete meine Wasserflasche. »Noch etwas zu trinken?«
    »Vielen Dank.« Er streckte die Hand aus.
    Ich sah ihm beim Trinken zu, und als er mir die Flasche zurückgab, sagte er: »Entschuldigt, daß ich mich nicht vorgestellt habe. Das war kein gutes Benehmen ...«
    »Ich kenne Euch«, sagte ich. »Nennt mich Corey.«
    Er sah mich an, als wolle er fragen: »Corey von Woher?«, doch er überlegte es sich anders und nickte.
    »Sehr wohl, Sir Corey«, sagte er. »Ich möchte Euch danken.«
    »Mein Dank ist die Tatsache, daß Ihr schon besser ausseht«, sagte ich. »Möchtet Ihr etwas zu essen?«
    »Ja, bitte.«
    »Ich habe Trockenfleisch dabei und auch Brot, das nicht mehr ganz frisch ist«, sagte ich. »Außerdem ein großes Stück Käse. Eßt nach Belieben.«
    Ich reichte ihm die Nahrungsmittel, und er griff zu.
    »Was ist mit Euch, Sir Corey?« fragte er.
    »Ich habe gegessen, während Ihr schlieft.«
    Vielsagend sah ich mich um. Er lächelte.
    »... Und Ihr habt die sechs allein erledigt?« fragte ich.
    Er nickte.
    »Ein großartiger Kampf.

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