Die Prinzen Von Irland
Auge schweifte über den südlichen
Horizont. Er würde zu Lughnasa also nach Carmun gehen. Wann war er zuletzt im
Süden gewesen? Ach ja, im vergangenen Jahr, als er in den Bergen unterhalb von
Dubh Linn Gold gesammelt hatte. Er schmunzelte. Goibniu liebte das Gold.
Dann
stutzte er, runzelte plötzlich die Stirn. Die Erinnerung an diese Reise rief
ihm etwas anderes in den Sinn. Er war dabei über die Hürdenfurt gekommen. Dort
war er einem riesigen Kerl begegnet. Fergus hieß er. Nachdenklich nickte er.
Richtig, dieser riesige Kerl stand bei ihm in der Schuld – er schuldete ihm den
Wert von zwanzig Stück Vieh. Eine Schuld, die längst überfällig war. Der
Häuptling konnte ihn durchaus in Zorn versetzen. Er fragte sich, ob Fergus
vielleicht auch zu dem Fest ging.
* * *
Sie waren im
Morgengrauen bei leichtem, nebligem Nieselregen von Dubh Linn aufgebrochen. Die
Reisegesellschaft war nicht groß gewesen: nur Deirdre, ihr Vater, ihre Brüder,
der Barde und der kleinere der britischen Sklaven. Die Männer ritten zu Pferde,
die junge Frau und der Sklave fuhren im Reisekarren. Die Pferde waren
kurzbeinig und stämmig, aber trittsicher und robust. Bei Anbruch der Nacht
würden sie den Großteil des Weges hinter sich und am folgenden Tag ihr Ziel
erreicht haben.
Der
Regen störte sie nicht. Er war von jener Art, die die Bewohner der Insel
einfach nicht beachteten. Deirdre hatte sich für die Reise schlicht gekleidet –
ein Wollkleid mit Schottenmuster, darüber ein leichter Überwurf, der an den
Schultern mit einer Fibel zusammengehalten wurde, und an den Füßen
Ledersandalen. Ihr Vater war ähnlich gekleidet, er trug einen Kittel mit Gürtel
und einen Überwurf, aber seine langen Beine waren, wie bei den meisten Männern
auf der Insel, nackt.
Eine
Weile schwiegen sie, überquerten die Furt. Vor langer Zeit, so hieß es in den
Geschichten, waren die Hürden auf Befehl von Athairne, einem sagenhaften Seher,
errichtet worden. Als Häuptling, der über dieses Territorium herrschte, vertrat
auch Fergus diese Ansicht. Jede »Hürde« bestand aus einem Floß aus
Weidengeflecht, das mit Pfählen festgehalten und mit schweren Steinen beschwert
war. Am anderen Ende, wo der Brückensteg über sumpfigen Boden führte, zerrissen
die Karrenräder hie und da Teile des Flechtwerks, das verrottet war. »Darum
wird man sich mal kümmern müssen«, brummte ihr Vater geistesabwesend, aber
Deirdre fragte sich, wie viele Wochen noch verstreichen würden, bevor er sich
dazu aufraffte.
Sowie
sie auf die andere Seite gelangt waren, wandten sie sich westwärts und folgten
stromaufwärts dem Ufer des Liffey. Die Uferböschungen waren mit Weiden
bewachsen. Auf dem trockenen Boden wie in den meisten Teilen des Waldes gab es
Unmengen von Ebereschen und herrlichen Eichen. Die Eiche wurde im Keltischen dair genannt, und so
erhielt zuweilen eine Ansiedlung, die in der Lichtung eines Eichenwalds
errichtet wurde, den Namen Daire – was in etwa wie
»Derry« klang. Als sie sich auf der Straße durch den Wald befanden, ließ der
Regen nach, und die Sonne brach durch die Wolken. Dann überquerten sie eine
weite Lichtung. Und erst nachdem die Straße wieder in die Wälder eingetaucht
war, wurde Deirdre gesprächig.
»Was
für einen Mann soll ich denn als Gemahl bekommen?«
»Werden
wir schon sehen. Einen, der alle Bedingungen erfüllt.«
»Und
welche sind das?«
»Die
natürlich, die der einzigen Tochter dieser Familie angemessen sind. Dein Gemahl
wird immerhin die Urenkelin von Fergus dem Krieger ehelichen. Mit ihm pflegte
einst sogar Nuadu mit der Silberhand persönlich zu sprechen. Vergiss das
nicht.«
Wie
konnte sie dies auch vergessen? Hatte er ihr nicht schon, bevor sie überhaupt
laufen konnte, von Nuadu, dem Wolkenmacher, erzählt. In Britannien, wo er wie
der römische Neptun abgebildet wurde, hatten sie ihm im Westen am Fluss Severn
einen großen Schrein errichtet. Aber auf der westlichen Insel wurde er als
einer der Tuatha De Danann verehrt – und die Könige von diesem Teil der Insel
behaupteten sogar, er sei ihr Ahnherr gewesen. Nuadu hatte Deirdres Urgroßvater
in besonderem Maße geschätzt. Darauf musste sich ihr künftiger Ehemann
einstellen.
»Vielleicht
werde ich ihn aber ablehnen«, sagte sie mit einem flüchtigen Seitenblick auf
ihren Vater. Nach den alten Gesetzen der Insel besaß eine Frau die Freiheit,
sich ihren Ehemann selbst zu wählen – und sich später wieder von ihm scheiden
zu lassen, wenn sie es wünschte.
Weitere Kostenlose Bücher