Die Prinzen von Queens - Roman
Kartoffelsäcke. »Dir tun die Füße weh?«, hatte Isabel gesagt. »Du machst Witze.« Aber nein. Bestand darauf, dass sie den Q32er nahmen. Zwischen klimatisiertem Bus und klimatisiertem Warteraum hatte Isabel überhaupt keine Möglichkeit gehabt, ins Schwitzen zu kommen. Und dennoch … sie schwitzt. Wie (vielleicht) ein Schwein. Sie tut, als kratze sie sich im Nacken, und schnuppert heimlich an ihrer Achsel. Nichts Schlimmes. Weichspüler, salzig, ein bisschen erdig. Hinter ihren Lidern schwebt Christian Louis vorbei, macht Rückenschwimmen. Er sagt, Hallo Mama! Vielleicht hat deine Angst ja weniger mit meiner möglichen Spina bifida zu tun als mit … tja, ich weiß ja nicht … Onkel Tariq? Lass uns doch mal darüber reden!
Isabel sagt, Nee, lass uns lieber darüber reden, wie heiß mir ist. Sie wünscht sich, sie gehörte zu der Sorte Frauen, die sich einfach aus ihrem verschwitzten T-Shirt schälen und es in den Mülleimer stopfen. Kannst du Dir das vorstellen? Einfach einen Scheiß drauf geben? Wie Sigourney Weaver in Aliens . Eine richtige Thelma-und-Luise -Aktion. Stell Dir das mal vor: Alfredo kommt zurück – vom Klo, Parkplatz, Wasserspender, OP, wo zum Teufel er gerade auch steckt – und findet dich hier, in der ersten Reihe im Warteraum, nur noch Turnschuhe, Jogginghose (elastischer Bund) und BH an, sonst nichts, mit deinen großen, schwangeren, schaukelnden Megamelonen im Luftzug der Klimaanlage.
Sie dreht sich nach den Leuten direkt hinter sich um: ein weißes Paar um die dreißig. Die Frau ist schwanger, wie Isabel. (Letztens hat Alfredo ihr einen Artikel in der Post gezeigt, über den Babyboom neun Monate nach dem 11. September. Da hat Osama wohl für die richtige Stimmung gesorgt, hatte sie gesagt.) Aber die Frau ist, anders als Isabel, möglicherweise nicht wegen einer Vorsorge-Untersuchung hier. Sie sind wohl eher wegen dem Mann hier, der sich ein blutiges Handtuch an den Hinterkopf presst. Sie achten nicht auf Isabel. Das gehört, denkt sie, zu den Vorteilen von Warteräumen. Unsichtbar wie man hier ist, muss sie sich kein Hey, Süße, kein Geschnalze und Gezische anhören. Warteräume kommen für sie gleich nach Kinos. Dieser ist sogar wie eins aufgebaut: lange Stuhlreihen in eine Blickrichtung, von denen die Leute geradeaus auf die wie im Gefängnis in den Ecken des Raums festgeschraubten Fernseher starren. Der Fernseher rechts zeigt Nachrichten (verurteilte Priester, Enron-Komplizen vor Gericht), während auf dem linken Telenovelas laufen (Gemelos malos, pelea entre hermanos). Niemand unterhält sich. Gott sei Dank. Normalerweise wäre sie oben in der Gynäkologie, aber ein Rohrbruch hat sie hierher verbannt, in die Notaufnahme, wo Isabel mehr Männer befürchtet hatte, mehr Verrückte, mehr gaffende Schmierlappen, aber so weit, so gut. Jeder hält sich hier an das Subway-Abkommen. Lass die Augen schön glasig. Begib dich in deine eigene schützende Gedankenblase.
Isabel beugt sich vor. Sie legt die Hände hinter den Rücken und zieht ihr Shirt ein paar Zentimeter hoch. Ihre Haut glüht. Sie presst den freigelegten schmalen Streifen Rücken gegen das kühle Metall des Stuhls. Jesus Cristo ! Santa Maria ! Sie rutscht auf dem Stuhl herum, um so viel Metall wie möglich zu spüren. Entgegen dem gängigen Blabla tun Isabel die Füße nicht besonders weh. Sie hatte erwartet, Waden und Knöchel würden irgendwann konturlos ineinander übergehen, und dass die Füße anschwellen und so empfindlich werden würden wie ihre Titten. Aber so weit war alles gut. (War möglicherweise erblich. Ihre Mutter, die Puta, hatte immer kräftige Beine und Füße gehabt; Isabel musste es wissen – sie hatte so manchen Tritt eingesteckt). Den Füßen gings also prima, kein Problem, aber dem Rücken? Speziell dem unteren? Konnte man vergessen. Dort saßen eine Menge Pfadfinder und Matrosen und machten ihre Knoten. In letzter Zeit war es in dem Videoladen in Manhattan, wo sie seit ihrem fünfzehnten Geburtstag Teilzeit arbeitet, der reinste Alptraum, die Kassetten in die unteren Regale zurückzustellen. Sie hat schon angefangen, sie ganz oben zu deponieren, The Warriors hinter Die Bären sind los zu verstecken und Bodycheck hinter Anaconda . Sie würde ja auch die Kasse machen, aber sie muss alle zehn Minuten pinkeln. Zur Mitarbeiter-Toilette flitzen, sich über die Schüssel hocken und ein lachhaftes Rinnsal herauspressen. Dann zurück an die Arbeit, sich tief hinunterbeugen, damit sich irgendein Idiot Xanadu
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