Die Prinzen von Queens - Roman
ausleihen kann. Scheißt auf die Wale, denkt Isabel. Vergesst die Seekühe und die Truppen in Afghanistan. Rettet meinen Rücken! Packt mich auf eins von diesen Holzbrettern wie Hannibal Lector und dreht meinen Hintern im Kreis.
Aber dieser kühle Metallstuhl? Herrlich. Sollen doch die anderen zum Arzt gehen. Sich was über Tay-Sachs und Huntington-Chorea anhören. Isabel geht’s gut hier. Sie hat sich kürzlich entschieden, ihre Zufriedenheit aus genau solchen Dingen zu ziehen: Butter-Popcorn, dem Klicken eines Filmprojektors, Alfredos Mutter, wenn sie das Haus verlässt, Unterwäsche anziehen, die frisch aus dem Trockner kommt, in eine von Kerzen umgebene Badewanne steigen (tatsächlich hat Isabel das noch nie gemacht, wird sie aber, sobald sie und Alfredo ihre eigene Wohnung kriegen), dem Geruch von Magic-Markern, mit der Subway nach Manhattan zu fahren, den Affen im Zoo vom Central Park, dem Café im Naturkundemuseum, dem immer selteneren Vergnügen, gut und fest zu kacken, und, ganz neu auf der Liste, kaltem Metall auf heißer Haut.
Alfredo lässt sich auf den Stuhl neben ihr plumpsen. »Wir sind die Nächsten«, sagt er. Er zuckt mit den Augenbrauen. »Ich hab ein bisschen mit den Schwestern geplaudert. Hab sie mit Starbursts bestochen.« Er steckt ihr ein pinkes Kaubonbon zu. »Ich hab ihnen gesagt: ›Passt auf. Wir sitzen jetzt seit anderthalb Stunden hier. Ich arbeite für Channel Seven News und werde hier mit einem Kamerateam einreiten und jeden in dieser Bruchbude von Krankenhaus bloßstellen.‹ Haben sie mir nicht abgenommen. Hol ich also Starbursts aus dem Automaten. Ich sag zu den Schwestern, ›Hört mal. Was könnt ihr für uns tun? Ich hab hier was Süßes.‹ Ich sage, ›Aber nicht die pinken. Die pinken sind für mi amor .‹ Er steckt ihr noch eins zu. ›Die hat sie am liebsten.‹«
»Hast du sie nicht alle?«, sagt Isabel. »Du glaubst, nur weil du den Schwestern …« – in der Filmversion ihres Lebens wäre dies genau der Moment, in dem eine Schwester sich zu einem Mikrophon vorbeugt und Isabels Namen aufruft: »Ms. Guerrero. Sie können jetzt rein.« Schnitt auf den grinsenden Alfredo. Schnitt zu Isabel, der der Mund offen steht. Aber vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie froh, dass hier nicht die Filmversion ihres Lebens läuft. Keine Schwester ruft ihren Namen auf. Isabel kann ihren Satz beenden und im Warteraum bleiben – »… ein paar Starbursts gibst, sind wir als Nächste dran?«
Alfredo und sie warten eine weitere Stunde auf ihren Stühlen. Zwischendurch geht Alfredo wieder los, um noch mehr Starbursts zu kaufen. Diesmal bringt er Isabel das ganze Päckchen, nicht nur die pinken, sondern auch die roten, gelben und orangen. Eins nach dem anderen lässt er sie in Isabels Hand wandern, als würde er einen Oberkellner schmieren.
»Was meinst du, was er sagen wird?«, fragt Alfredo. »Wenn er dich sieht?«
Sie weiß nicht, ob er Tariq meint oder den Arzt. Sie nimmt seine Hände. Sie sind weich und haben keine Schwielen. Seine Nägel sind bis aufs Nagelbett abgekaut, das rohe, empfindliche Fleisch liegt frei. Sie küsst einen Knöchel. Noch etwas für die Liste! Zwischen Magic Markers und Kerzenschein-Bad: das Vergnügen, ein Starburst aus der Folie zu wickeln, die Zartheit der Hände ihres Freundes.
M it vierzehn war Isabel der Arm gebrochen worden, da hatte sie über drei Stunden in diesem Warteraum gesessen. Damals hatte sie es kaum abwarten können, bis sie an der Reihe war. Davor war sie bloß ein einziges Mal in diesem Krankenhaus gewesen, um der Gebärmutter ihrer Mutter zu entkommen, und nach dem gebrochenen Arm war sie erst wieder hingegangen, als sie selbst schwanger war und in einen Becher pinkeln, Gesundheitsfürsorge beantragen und Vorsorgeuntersuchungen wie heute vereinbaren musste. Ein einziges Mal! Ihr war der Arm gebrochen worden, und ihre Mutter rief ein Taxi und brachte sie ins Krankenhaus. Ihr einziger Besuch zwischen Null und Neunzehn. Aber hatte es nicht auch andere Gelegenheiten gegeben, bei denen sie hätte hierherkommen sollen? Hätten ihr regelmäßige medizinische Untersuchungen etwas genutzt? Wäre es hilfreich gewesen, mit einem der Psychologen oder einem netten Sozialarbeiter zu sprechen? Oh Mann!
Mit zwölf hatte sie ihre Unschuld verloren. Sie hatte den Duschvorhang zur Seite gezogen – den mit der Weltkarte – und war bereits mit einem Bein aus der Wanne, als der Freund ihrer Mutter ins Bad kam. Er hieß Raul Diaz. Hinter
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