Die Prinzen von Queens - Roman
stehen, um auf den Speisekarten der italienischen Restaurants nach neuen, noch exotischeren Pasta-Gerichten zu gucken, die sie mit nach Hause bringen konnte. Penne Puttanesca, Rigatoni Carbonara. Ihre Mutter bat sie, die Zutaten aufzuzählen. Carbonara: Pancetta, Frühlingszwiebeln, schwarzer Pfeffer und Ei. Kommt sofort!, rief sie dann. Und dann servierte sie Isabel eine dampfende Schüssel Spaghetti mit Butter und Parmesan. Bravo Mama! Perfetto !
Ein neuer Freund zog ein. Isabel wartete. Sie ritzte sich die Beine auf. Blut schlängelte sich in ihre Socken.
Dann: Waghalsige Flucht! Mit fünfzehn ergatterte Isabel einen Job in dem Videoladen in Manhattan, wo sie nach der Schule arbeitete. Sie kam überpünktlich, ging erst spät und übernahm die Schichten anderer. Der Filialleiter lobte ihre Arbeitseinstellung. Isabel ging seltener zur Schule. In ihrer Freizeit machte sie mit dem Geld, das sie verdiente, die Kinos unsicher. Immer alleine, immer in der letzten Reihe, wo niemand sie sehen konnte. Sie öffnete die Handtasche, holte eine Dose Cola heraus und hustete laut, während sie den Verschluss aufriss. In der Filmversion ihres Lebens arbeitete sie nicht in einem Videoladen und schaute sich auch nicht so viele Filme an, es sei denn, die Filmversion ihres Lebens hieß Clerks , Cinema Paradiso oder The Purple Rose of Cairo .
Eines Tages legte sie im Laden Casablanca ein. Sie sah ihn zum ersten Mal. Am Ende des Films, als Rick und diese Frau sich am Flughafen umarmen, stand Isabel hinter der Theke, bongte einen Kunden ein, starrte auf den Fernseher und sagte tatsächlich laut vor sich hin: »Was tust du da, Mädchen? Steig schon in das beschissene Flugzeug.«
» D as sind wir!«, ruft Alfredo. Sie haben Isabels Namen aufgerufen, und Alfredo hetzt in Richtung Schwesternzimmer, zischt zwischen den Leuten hindurch, als wäre dies ein Feinkostladen und er hätte eine Nummer in der Hand, sein Ticket zum Roastbeef. »Das sind wir«, sagt er wieder. »Verzeihung. Perdón, Señora . Wir kommen! Einen Moment!«
Am Tresen winkt er Isabel zu sich. Offensichtlich bewegt sie sich nicht schnell genug, also winkt er heftiger. Sie ist ein Flugzeug und er der Mann auf der Startbahn mit den Leuchtstäben, die Hände zerteilen die Luft. Alfredo sagt etwas zu der Schwester. Er hält einen Finger in die Höhe. Er macht ein paar vorsichtige Schritte weg vom Tresen, dann wirbelt er herum und rennt zu Isabel.
»Alles klar?«
Ein alter Weißer sitzt auf seinem Stuhl, die Hände auf seinem Gehstock gefaltet. Isabel rempelt ihn versehentlich an, knallt mit der Hüfte gegen sein Ohr. Tritt einer Frau auf den Fuß. Ihre Schuhsohlen sind durch Kugellager ersetzt worden. Sie hat den Eindruck, eine Treppe hochzugehen, und erwartet eine Stufe, die aber gar nicht da ist. Wieder und wieder tritt Isabel durch die Phantomstufe hindurch und muss um Gleichgewicht ringen. Sie lehnt sich gegen die Lehne eines leeren Stuhls.
»Was ist los?«, fragt Alfredo.
Eine Schwester in blauem Kittel schiebt Isabel einen leeren Rollstuhl hin. Auf wundersame Weise ist es genau diejenige – und das in einem städtischen Krankenhaus mit weiß Gott wie vielen Angestellten –, die sich bei ihrem ersten Besuch um Isabel und Alfredo gekümmert hatte. Sie hatte ihnen geholfen, die Formulare auszufüllen und sich bei der Schwangerschafts- und Gesundheitsfürsorge zu registieren. Und sie hatte Isabel über HIV-Prävention und die Vorteile einer ausgewogenen Ernährung während der Schwangerschaft informiert. Wie damals trägt sie einen langen schwarzen Zopf, der wie eine Schlange über der Schulter liegt. Es ist sechs Monate her, seit Isabel die Frau gesehen hat, und dass sie jetzt wieder da ist, hat etwas Unheilvolles. Als wüsste das Krankenhaus bereits um die Leiden, die Baby Christian ihr ins Ohr geflüstert hat. Als wüsste das Krankenhaus, nur weil es gesehen hat, wie sie in die Stühle gekracht ist, dass hier etwas falsch falsch falsch läuft. Also schicken sie die O.C.S., die Oberchefschwester, und sagen ihr, sie solle einen Rollstuhl mitbringen. Sie weist mit dem Kopf auf den Stuhl. Ihre dünnen Lippen zu einem Lächeln geformt.
»Ich kann gehen«, sagt Isabel.
»Sicher. Aber warum sollten Sie, wenn Sie nicht müssen?«
»Cooles Gefährt«, sagt Alfredo und streicht mit der Hand über die Armlehne. Fachmännisch löst er die Bremsen und klappt die metallen Fußstützen herunter. Er hält Isabel am Arm und hilft ihr in den Stuhl. »Lassen Sie mich mal ran«,
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