Die Probe (German Edition)
konnte. Zu kurz, zu fest, sagte er.
»Etwas weiter weg vom Schacht lag die Frau«, fuhr er fort. »Mit einem Eisenrohr in der Brust und deutlich zu erkennen.« Sie horchte auf.
»Du kanntest sie?«
»Francesca.«
»Michaels Francesca?« Ungläubig starrte sie ihn an. Was hatte Michaels Freundin hier zu suchen? Er parkte den Wagen neben der Limousine und stellte den Motor ab.
»Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen«, sagte er nachdenklich. »Aber ich glaube, Ed ist wirklich noch da unten, und er ist nicht allein. Kann es sein, dass dieser Berg sein sicheres Versteck für deine Dokumente ist?« Es war dem guten Ed zuzutrauen. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr Sinn machte alles. Hätte sie ihren alten Onkel doch nie in diese Geschichte hineingezogen. Nichts und niemand konnte je rechtfertigen, dass sie ihn in Gefahr gebracht hatte. Es war gerade so, als hätte sie ihn eigenhändig umgebracht.
»Was jetzt?«, fragte sie schließlich kleinlaut. Er antwortete lange nicht, wusste auch nicht weiter.
»Man wird ihn finden«, murmelte er endlich trübsinnig. »Wir müssen warten, bis die Rettungsmannschaft einsteigen kann, das dauert Stunden, wenn nicht Tage. Scheiße! Und dein geheimnisvolles Paket ist auch verloren.«
»Das Paket ist nicht wichtig«, wehrte sie müde ab. »Nichts kann so wichtig sein, dass jemandem wie Ed auch nur ein Haar gekrümmt wird.«
»Hast du denn keinen Backup?« Sie schüttelte den Kopf. Nachdem sie die Entdeckung in Saitous Labor gemacht hatte, wollte sie keinerlei elektronische Spuren hinterlassen. Einzig die Originaldokumente und eine eingescannte Version auf einer CD sollten existieren. In sträflichem Leichtsinn hatte sie allerdings diesen Datenträger einfach ins Paket gesteckt, das der Onkel für sie aufbewahren sollte. Nun lagen alle Informationen und die Materialprobe, wohl für immer verschüttet, in diesem Berg. Die Rekonstruktion der Daten und eine neue, erfolgreiche Synthese würde Jahre dauern, oder Tage, sie wusste es nicht. All das bedeutete jetzt nichts mehr, nur das Leben ihres Onkels zählte. Sie mochte nicht an seinen Tod glauben, bis man ihn finden würde.
»Wie soll die Suchmannschaft da hinein?«, fragte sie unvermittelt. »Der Schacht ist verschüttet, wie du selbst sagst.«
»Zugangsstollen«, antwortete er mechanisch. Dann hellte sich seine Miene mit einem Mal auf. »Das ist es!«, rief er aufgeregt. »Ich muss mit dem Einsatzleiter sprechen.«
»Was hat dich jetzt wieder gestochen?«, rief sie ihm nach, aber er war schon zwischen den Einsatzwagen verschwunden.
Der Gedanke elektrisierte Charlie. Er wunderte sich, warum noch niemand an diese Möglichkeit gedacht hatte. Jeder hier kannte doch den Quereinstieg über den Zugangsstollen unten am Berghang. Man hatte den seinerzeit genau zu diesem Zweck erstellt, als Notausstieg, oder eben als zweiten Zugang für den Fall einer solchen Katastrophe. Es dauerte lange, zu lange, bis er endlich mit dem Einsatzleiter reden konnte. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und der kleine Napoleon hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Schließlich zuckte er bedauernd die Achseln und sagte ruhig aber bestimmt:
»Wir können jetzt nicht da hinein. Zuerst muss der Brand gelöscht werden, dann werden die Bergungsmannschaften mit ihrem Gerät einsteigen.«
»Welche Bergungsmannschaften?«, fragte Charlie gereizt. Außer der Feuerwehr, den Polizisten und zwei Krankenwagen sah er nur eine zunehmende Zahl von Gaffern.
»Sie sind unterwegs.« Napoleon wandte sich wieder seinen Leuten zu, die Audienz war beendet. Kochend vor Wut kehrte ihm Charlie den Rücken und wollte zum Parkplatz zurück, als einer der Zuschauer auf ihn zutrat. Der ältere Mann hatte sich weit vorgewagt und musste seine Unterhaltung mit dem arroganten Feldherrn gehört haben.
»Excuse me, Sir. Ich habe zufällig mitbekommen, was Sie vorhaben, und ich denke, es ist eine ausgezeichnete Idee.«
»Bringen Sie das mal diesem Dickschädel bei«, murrte Charlie und ging weiter.
»Warten Sie! Stimmt es, was die Leute sagen, dass Ed noch im Berg ist?«
»Ja, leider. Darum will ich jetzt da hinein.« Der Andere musterte ihn kurz und kritisch, dann sagte er:
»Wenn Ed da drin ist, werden wir ihn finden. Kommen Sie! Ich bin übrigens Dylan.« Verwundert folgte ihm Charlie zu einem Grüppchen Männer, teils in Overalls, mit dem Helm in der Hand, als machten sie sich für die nächste Schicht bereit.
»Jungs, wir müssen Ed herausholen«,
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