Die Prophetin von Luxor
zu finden.
Sobald er einschlief, überfielen ihn Träume - Träume, die auf der Wirklichkeit beruhten, doch mit schrecklichen Bildern wie aus dem Buch der Toten durchsetzt waren. Er trat auf seinen Balkon, atmete tief die frische Luft ein und lauschte dem hellen Klingeln der Hämmer und Meißel, das zur Zeit mit jedem Luftzug heranwehte. Hatschepsut war fast vollkommen ausgelöscht. Nachdem er fünf Überschwemmungen lang in ihrem Namen regieren mußte, hatte der Rat sie endlich für tot erklärt. Die Rekkit fürchteten nicht länger den Zorn der Götter; innerhalb Ägyptens waren alle Feinde Thutmosis’ tot oder verschwunden.
»Verschwunden«, sagte er laut. Ohne daß er es wollte, kehrten seine Gedanken zu der Kammer in Noph zurück.
Er war so selbstgefällig gewesen, so überzeugt davon, den Schlüssel in seiner Hand zu halten. Er würde nicht nur alles in die Hand bekommen, was Hat in aller Heimlichkeit beiseite geschafft hatte, er hätte auch die Genugtuung, Cheftu gebrochen und selbst von Freunden verleugnet zu sehen. Er würde sich daran laben, an jenem Mann Rache zu nehmen, der ihm die Treue geschworen und seinen Schwur gebrochen hatte. Cheftu war festgehalten worden, und alle hatten nur darauf gewartet, daß er einen Versuch wagte, zu der Frau im Alkoven zu gelangen.
Dann, in weniger als einem Augenzwinkern, waren sie verschwunden. Die Fackeln wurden ausgeweht, als wäre ein mächtiger Windstoß durch den Tempel gefahren. Alle beide waren verschwunden. Selbst als die Soldaten die Mauern um das Verlies aufbrachen und dabei auf ein Dutzend geheimer Gänge stießen, hatten sie keinen Hinweis darauf entdeckt, wo die beiden abgeblieben waren. Trotzdem wartete dort immer noch ein Wachsoldat - auf verlorenem Posten, wie Thut glaubte - darauf, daß RaEm und Cheftu wieder auftauchten.
Er ging hinein und legte sich auf sein Bett. Er brauchte Ruhe. Vor dem Morgengrauen würden er und die neue Streitmacht Ägyptens losziehen durch die Wüste, um die sandige Ödnis von jenen zu säubern, die nicht den ägyptischen Göttern huldigten oder die ägyptischen Bräuche nicht befolgten. Die Stämme hätten die Wahl, sich anzupassen oder zu sterben. Und wenn sie starben, würde sich Ägypten dabei ihr Gold und ihre Schätze einverleiben und dadurch noch kräftiger werden.
Er würde ein Imperium errichten, ein mächtiges Imperium, das sich weit über die Landesgrenzen seiner Vorväter erstreckte. Thut wußte ohne den Funken eines Zweifels, daß er von diesem Augenblick an bei all seinen Unternehmungen erfolgreich sein würde. Er lächelte grimmig und dachte an die Wesenheit, die ihm solches Vertrauen verlieh. Er hatte seine Zeit als Werkzeug des Unbekannten abgedient und war nun frei, sein Leben ganz nach seinen Wünschen zu gestalten.
Bebend vor Erschöpfung, schloß er die Augen.
Morgen würde für Ägypten eine neue Ära beginnen.
Die Dunkelheit verschlang mich. Es war stockfinster wie in der tiefsten Nacht. Langsam setzte ich mich auf und hielt die Hand an den dröhnenden Schädel, der sich anfühlte wie halb abgesäbelt. Mein Orientierungssinn war flöten: ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich sein mochte. In absoluter Stille spielten sich in meinem Kopf die letzten Bilder aus dem Tempel ab . und bei ihrem Anblick zerfraß mich tödlicher Schmerz. Haii , Cheftu! O Gott, Cheftu!
Dann erstarrte ich, denn der Geist einer Stimme hallte voll und samtig durch das Schwarz, das mich umgab.
»Chloe?«
NACHWORT DER AUTORIN
Es gibt so viele Theorien über den Auszug der Kinder Israels und ihren Weg durch die Wüste, über den damals herrschenden Pharao und die Anzahl der fliehenden Israeliten, wie es Archäologen und Theologen gibt. Der Bibel zufolge erbaute Salomon seinen Tempel 480 Jahre nach dem Auszug aus Ägypten. Damit fiele der Exodus in die achtzehnte Dynastie und die Lebenszeit und Regentschaft Hatschepsuts.
Pharao Hatschepsut herrschte als Mann, obwohl sie eine Frau war. Anfangs regierte sie gemeinsam mit ihrem Halbbruder; nach dessen Tod ging sie eine Ko-Regentschaft mit dem Kind Thutmosis III. ein, den sie nach kurzer Zeit vom Thron verdrängte, um sich selbst als Hatschepsut I. zu krönen. Historisch brachte ihre Regentschaft eine Zeit des Friedens und des Wohlstands, in der alte Grabmale wiederhergestellt und neue Kontakte zu anderen Ländern geknüpft wurden. Offenbar standen Priesterschaft und Adel hinter ihr, was zu jeder Zeit großes politisches Gewicht hatte.
Niemand weiß mit Gewißheit, wie
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