Die Prophetin von Luxor
dich, ma chérie«, flüsterte er. Sie faßte um seine Taille, spürte die granitharten Muskeln, die sie festhielten, die von kaltem Schweiß klebrige Haut. Da stimmte noch mehr nicht, als sie angenommen hatte. Fast meinte sie, in der Dunkelheit ein Schlurfen zu hören.
Er löste sich von ihr und drehte den Kopf zur Treppe hin.
»Also los«, sagte er und zog sie hinter sich her, während sie sich durch die Kammer tasteten. Chloe kam sich klein vor. Sie hörte Cheftu hantieren und hielt erstaunt die Luft an, als die Fackel die Dunkelheit vertrieb.
Die Kammer war klein, aber exquisit. Sie waren an der Südwand hinuntergestiegen, und rechts von Chloe befand sich eine Wand mit einem Gemälde des Nachthimmels, auf dem die Konstellationen verzeichnet waren. Links befand sich eine mit hieroglyphischen Schriften bedeckte Mauer, und schon trat Cheftu hinzu und las lautlos, aber mit bewegten Lippen, was darauf geschrieben stand.
Chloe genau gegenüber befand sich die Tür.
Um genau zu sein, war es ein tiefer Alkoven, der durch die umgebenden Gemälde eindeutig gekennzeichnet wurde. Mit im Hals schlagendem Herzen ging sie darauf zu und machte sich daran, die Zeichen zu lesen. Die Bilder erzählten eine Geschichte, die Geschichte einer Priesterin, die ein unbekannter Gott gesegnet und aus der Nachwelt hergebracht hatte, damit sie seine Neter-Macht erfuhr, bevor er sie ... wohin nur? ... schickte, damit sie Zeugnis davon ablegte. Es war eine typisch ägyptische zweidimensionale Zeichnung, doch Chloe spürte eine Gänsehaut, als sie bemerkte, daß die dunkelhäutige, schwarzhaarige Frau grüne Augen hatte.
Friede senkte sich über sie . derselbe Friede, der sie hierher gelockt hatte, um sich benutzen zu lassen, das schon, doch als Werkzeug mit freiem Willen, das jederzeit auch ablehnen konnte. Bestimmt hauchte eine Stimme in ihrem Kopf.
Cheftu stand jetzt hinter ihr, und sie konnte ihn erstickt nach Luft schnappen hören. »Das bist du. Das ist deine Geschichte«, flüsterte er.
Die Gänsehauthügel auf ihrer Haut waren groß wie Erbsen.
»Ja«, bestätigte sie auf englisch.
»Ich soll also zurückkehren.« Wieder hörte sie verstohlene Schritte über ihnen. »Komm mit mir«, flehte sie. »Ich weiß, du glaubst, daß du nichts mehr hast, aber im zwanzigsten Jahrhundert können wir zusammenbleiben. Vielleicht findest du ja eine neue Bestimmung?«
»Non, ich kann nicht zurück. Jean-Fran^is le jeune ist mit mir im neunzehnten Jahrhundert gestorben.«
Chloe verschluckte sich und wirbelte herum. »Jean-Fran^is Champollion!« Eine Sekunde lang starrte sie fassungslos in sein bronzefarbenes Gesicht. »So ... so heißt du doch nicht, oder? Bist du, warst du damals Jean-Fran^is Champollion?«
»Je suis«, erwiderte er mit einer glaubhaften Verbeugung.
»Mein Bruder hat mich betrogen. Er hat den Schlüssel zu den Hieroglyphen entdeckt, das hast du doch selbst gesagt.«
»Nein!« kreischte Chloe. »Ich habe dir gesagt, es war ein Champollion! Jean-Francis! Er ist der Vater der Ägyptologie! Du bist das!«
Cheftus Gesicht wurde grau, selbst im flackernden Fackelschein. »Das ist nicht möglich«, flüsterte er. »Woher weißt du diese Dinge?«
»Einen Tag bevor ich hier gelandet bin, habe ich ein Buch darüber gelesen! Es hat von Napoleons Zug nach Ägypten gehandelt. Darin wurde der ältere Champollion erwähnt, der seinen kleinen Bruder mitgenommen hatte«, der damals bereits ein studierter Linguist war, fiel ihr Cheftus Bemerkung ein. »Gleich hinter Karnak wurde er sehr krank. Er wurde mit JeanJacques zusammen heimgeschickt, und es dauerte lange, bis er sich wieder erholt hatte.« Ihre Stimme senkte sich zu einem heiseren Flüstern, so als hätten sich die Worte, die sie gelesen hatte, in ihr Gedächtnis gebrannt. »Danach meinten alle, die ihm begegneten, man könne ihn für einen alten Ägypter halten, so vertraut war er mit deren Kultur!« Mit starrem Blick fuhr sie fort: »Er hat sein Leben damit zugebracht, die Hieroglyphen zu entschlüsseln! Er behauptete, sie seien nicht nur religiöse Bilder, sondern stünden auch für bestimmte Laute und ein Alphabet. Er schrieb Bücher über die Pharaonen und ihr Leben. Er weihte sein ganzes Leben dem alten Ägypten.«
Cheftu sank gegen die Wand. »Ist das dein Ernst? Er hat all das in meinem Namen zustande gebracht? Ich bin nicht in der Namenlosigkeit versunken?«
Ihr Verstand war immer noch damit beschäftigt, das zu verarbeiten. »Todernst«, bestätigte sie. »Der Junge,
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