Die Prophetin
sagte Garibaldi. »Verlassen Sie den Kanal.«
»Einen Moment noch«, sagte Catherine. »Ich bin sicher, wir können ihnen trauen.«
»Ich weiß nicht recht.« Nach kurzem Zögern tippte Catherine ihre letzten Sätze:
«Barrett» Ich kann mich auf diesem Kanal nicht mehr melden, sonst wird man mich vielleicht entdecken. Aber ich werde euch in ein paar Tagen anwählen. Beobachtet IRC. Ich werde einen Kanal schaffen. * Bitte glaubt mir* Haltet die Augen offen…
Dann trennte sie die Verbindung:
FILE »EXIT DIALER«
BYE
NO CARRIER
Es wird erzählt, daß der vorige König befürchtete, vergiftet zu werden. Deshalb ließ er jeden Tag alles untersuchen – seine Speisen, seine Gewänder, seinen Wein, seinen Turban, seine Girlanden, sein Parfüm, seine Schminke. Aber bei der Liebe war er nicht so vorsichtig. Eine Konkubine gewöhnte sich langsam an ein tödliches Gift. Als der König sie eines Tages aufsuchte und sich mit ihr vereinte, drang das Gift, das sich in ihren Körpersäften befand, in sein Blut, und er starb. Satvinder hat mir diese Geschichte erzählt. Satvinder war auch die weißgekleidete geheimnisvolle Frau auf dem Marktplatz.
Das nächste Mal begegneten wir uns unter anderen Vorzeichen. Als Philos und ich Cornelius Severus zu einem Festmahl in den Palast begleiteten, stellte ich fest, daß Satvinder die älteste Tochter des Kö-
nigs war. Sie erzählte mir, daß es in Indien den Frauen verboten ist, Sanskrit zu lernen, eine der Wis-senschaften zu studieren oder die Heilkünste auszuüben. Aber Satvinder besaß einen starken Willen.
Sie war die Lieblingstochter ihres Vaters, und er erlaubte ihr, in der Verborgenheit des Palastes zu studieren und zu lernen, als sei sie ein Mann. Satvinder gab sich mit dem Wissen allein nicht zufrieden, sie wollte es auch anwenden.
Sie sagte, ihrem Vater sei nicht bekannt, daß sie ihre Heilkünste in der Stadt zum Nutzen der Kranken verkleidet praktizierte. Aber als ich den König kennenlernte, dachte ich, er müsse wissen, daß seine Tochter sich nicht an die ungerechten Gesetze der Männer hielt.
Satvinder praktizierte Ayurveda, das heißt › Wissen des Lebens‹. Von ihr lernte ich, daß am Indus die medizinische Behandlung auf vier Säulen ruht: Arzt, Medikamente, Pflege, Patient. Eine Krankheit wird immer auf dreierlei Weise behandelt. Zuerst werden Zaubersprüche gesprochen. Wenn sie nicht helfen, benutzt man Medikamente, und wenn das nicht hilft, dann operiert man.
Satvinder war eine Anhängerin der Göttin Shakti. Ihr Name bedeutet kosmische Kraft. Als ich Satvinder bat, mir zu erklären, wer Shakti sei, antwortete sie: ›Sie ist die Mutter, die erschafft. Sie ist die höchste Gottheit, die im Lotus des Herzens sitzt.‹ Ich erzählte vom Gerechten und von seiner Botschaft, die er uns am Salzmeer verkündet hatte.
Satvinder sprach von ihrem Glauben, zu dem das Wissen um das zyklische Weltdrama von Erschaffen, Erhalten und Zerstören, auf das wieder das Erschaffen folgt, gehört. Als ich sie fragte: ›Wer hin ich?‹
sagte sie: ›Du bist das Eine und das Viele!‹ Als ich fragte: ›Und Gott?‹ gab sie dieselbe Antwort. Als ich wissen wollte, was mit dem Kreislauf von Erschaffen, Zerstören und Wiedererschaffen gemeint sei, sagte sie, daß wir alle viele Male geboren werden und sterben. Etwas in ihren Worten kam mir bekannt vor. Ich erinnerte mich an den Prediger in Antiochia, der gesagt hatte: ›Der Gerechte hat uns verheißen, daß wir wiedergeboren werden…‹ Meinte er damit dasselbe wie Satvinder?
Meinte er, daß wir als Mensch mit Fleisch und Blut ins Leben zurückkehren? Hatte der Gerechte in Indien gelehrt, bevor er in die Wüste von Judäa ging, wo ich ihn als Kind predigen hörte? Der Kummer, der auf meiner Seele lastete, blieb, denn ich glaubte noch immer, daß der Weg der wahre Glaube sei, und daß man den Menschen die Augen öffnen müsse, damit sie das Licht sahen. Ich war traurig, daß Satvinder, diese fromme, aber unwissende Anhängerin der Göttin Shakti, nicht in das ewige Kö-
nigreich gelangen würde, weil die Botschaft des Gerechten nicht in ihr Herz drang.
Während wir am Indus waren, sah ich wenig von Philos, denn er begleitete Cornelius Severus. Sie reisten in den Osten bis zum Ganges und in den Süden bis zu den Tamilen. Sie waren viele Monate unterwegs. Ich fand Freundinnen unter Satvinders Gefolge und auch bei den Frauen der römischen Offiziere. Die Gemahlin von Cornelius Severus war mit den Kindern in Rom
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