Die Prophetin
geblieben, aber die Frauen der anderen Offiziere begleiteten ihre Männer. Wir waren fast alle gleichaltrig und blieben zusammen. Auch sie sahen ihre Männer nicht, aber sie hatten Kinder zu versorgen. Ich hatte von Philos noch kein Kind. Die Frauen gaben mir viele Ratschläge, was ich tun sollte, wenn Philos mit Cornelius Severus zurückkommen würde. Aber ich wollte nicht nur ein Kind, noch mehr sehnte ich mich nach Liebe.
An meinem zwanzigsten Geburtstag trafen zwei Briefe ein. Der eine war an Cornelius Severus gerichtet und enthielt Befehle, den Indus zu verlassen und weiterzureisen. Der zweite war für mich und kam von zu Hause. Meine Großmutter teilte mir mit, daß meine Mutter gestorben war. Die Nachricht machte mich traurig, denn ich hatte meine Mutter zwei lange Jahre nicht gesehen und gehofft, vor der nächsten großen Reise einen Besuch in Antiochia machen zu können.
Zusammen mit dem Schreiben meiner Großmutter bekam ich ein bemerkenswertes Geschenk. Es war der Brief einer Frau aus Rom, den sie an die Gemeinde in Antiochia gerichtet hatte. Die Mitglieder der Gemeinde fertigten Kopien dieses Briefes an und schickten sie an andere Orte, wo Gläubige sich wie bei uns inAntiochia versammelten. Auf diese Weise bekehrten sich viele zu unserem Glauben. Es tröstete mich, daß mir mit der traurigen Nachricht vom Tod meiner Mutter neue Worte des Gerechten von denen überbracht wurden, die ihn gekannt hatten. Mein Glaube wurde gefestigt, und ich wußte, daß meine Mutter in das Königreich des Gerechten eingegangen war. Und dies sind die Worte von Maria in dem Brief: ›Eure Schwester grüßt die Gemeinschaft in Antiochia mit dem Friedenskuß. Wer durstig ist, der soll kommen und das Wasser des Lebens trinken, es ist ein Geschenk für alle, die es begehren. Verehrt den Schöpfer der Erde und des Himmels, des Meeres und jeder Quelle.
Gesegnet sind die Worte des Gerechten, der gesagt hat: Ich bin die Stimme in allen. Ich bewege jedes Wesen. Ich bin der Gedanke. Ich bin der Erste und der Letzte, der Verehrte und der Verachtete. Und ich bin auf alle Zeiten bei euch. Vergeßt nicht die Worte Salomos, der gesagt hat, der Tod des Gerechten ist nur eine Täuschung. Wer da glaubt, der wird das ewige Leben haben. Die Macht Gottes rettet alle im Glauben. Findet das Leben durch den Glauben.‹
Liebe Perpetua, die folgenden Worte Marias nahm ich mir am meisten zu Herzen: ›Der Weg ist Frieden und Vergeben. So finden wir eine Gnade, die uns Erfüllung schenkt. In dieser Gnade werden wir nicht vergehen und niemals sterben. Das bedrückte Herz, das Herz aus Stein, das falsche Herz – sie alle werden den Tod finden. Das Herz, das sich der Liebe öffnet, wird den Tod überwinden. Denn die Liebe ist das, worauf sich der Glaube gründet. Ohne Liebe kann der Glaube keine Berge versetzen.
Deshalb, Brüder und Schwestern, folgt dem Weg der Liebe. ‹
Ich schrieb den Brief ab und gab die Abschrift Satvinder. Sie schenkte mir ein Zaubermittel, das, wie sie sagte, meinen Leib fruchtbar machen werde. Wir umarmten uns als Schwestern auch wenn wir aus unterschiedlichen Welten kamen und einen unterschiedlichen Glauben hatten. Beim Abschied betete ich, daß Satvinder die Worte Marias lesen und das Licht sehen werde, damit auch sie das ewige Leben fand. Wir verließen den Indus vor den jährlichen Regenfällen. Ich reiste mit einem stillen Gebet im Herzen ab. Ich hoffte, daß ich mich in Philos verlieben würde und er sich in mich.
Der neunte Tag
Mittwoch, 22. Dezember 1999
Las Vegas, Nevada
»Nicht schon wieder!« rief Garibaldi und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch.
Catherine, die in Sabinas Geschichte vertieft war, zuckte zusammen. »Was ist los?« fragte sie und reckte sich gähnend, dann stand sie mit steifen Gliedern auf. Sie hatte stundenlang über die Schriftrollen gebeugt gelesen und übersetzt. Ihr Nacken und die Schultern schmerzten. Überrascht stellte sie fest, daß sich der Himmel vor dem Fenster bereits orange färbte. Der Tag war wie im Flug vergangen.
»Alle Welt will dasselbe wie ich«, erwiderte Garibaldi gereizt und wies ungeduldig auf den Monitor.
Catherine setzte sich neben ihn und las auf dem Bildschirm die Meldung: ZUR ZEIT KEINE VERBINDUNG MÖGLICH.
Dann sah sie, wen er zu erreichen versucht hatte:
›http://christusrex/archivo.vaticano/html.‹
»Die Vatikanbibliothek?« fragte sie.
»Ja, dort liegen Tausende von Manuskripten und Dokumenten, von denen viele nicht übersetzt oder
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