Die Prophetin
nicht. Brechen wir ab.«
»Wir sollten die Verbindung so lange wie möglich halten. Hier sind wir sicher.«
»Irgend etwas stimmt nicht.«
»Wollen Sie nicht wenigstens sehen, was die Sammlung Langford enthält?«
Sie starrte auf die leuchtenden Buchstaben. »Brechen Sie bitte ab.«
Die Anzeige auf dem Bildschirm verschwand. Sie saßen im Dunkeln und lauschten auf das leise Flüstern der Klimaanlage, die in der kalten Wüste für eine Raumtemperatur von 23 Grad sorgte. Catherine blickte gedankenverloren auf die Reste ihres Mittagessens, das der Zimmerservice gebracht hatte – Spinatsalat, Clubsandwich, Mineralwasser. Sie hatten vor vielen Stunden das letzte Mal etwas gegessen, aber sie war nicht hungrig. Sie hörte, wie Garibaldi seufzte, und sagte: »Warum gehen Sie nicht spazieren? Sie haben den ganzen Tag am Computer gesessen. Sie können sich unter die Leute wagen. Ich muß hierbleiben.«
»Ich weiß nicht recht«, erwiderte er und lachte leise. »Für mich ist Las Vegas ein gefährlicher Ort.«
»Wieso?«
»Ich bin ein geborener Spieler. Ich habe diese Schwäche nie völlig überwinden können. Als ich jung war, habe ich bei jeder Gelegenheit gewettet… auf Pferde, auf alle möglichen Dinge, sogar darauf, welche Farbe das Kleid von Mrs. Nußbaum von der Bäckerei an einem bestimmten Tag haben würde!« Er blickte auf Catherines Hand, die auf seinem Arm lag. Catherine zog sie zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie sahen sich an. Catherine glaubte, immer noch die glatte Haut und die Muskeln seines Unterarms zu spüren. »Catherine«, sagte er schnell, »ich muß Ihnen etwas sagen.« Aber bevor er weitersprechen konnte, spürten sie plötzlich, wie die Sessel vibrierten. Dann schien das Zimmer zu schwanken. »Was zum…?« rief Garibaldi und sprang auf. »Ein Erdbeben!«
Sie rannten zum Fenster und blickten hinaus. Zunächst sahen sie nur die strahlenden Lichter von Las Vegas vor dem dunklen Himmel. Andere Gebäude schienen nicht zu schwanken, und keines stürzte ein. Das Beben wurde stärker, und nun hörten sie auch ein leises drohendes Grollen. Plötzlich wußten sie, was es war: Atlantis versank. Wieder einmal.
Auf einer der Inseln in dem 20 Hektar großen See, der das Hotel umgab, war das untergegangene Atlantis mit Tempeln, Säulen und riesigen Götterstatuen nach den Vorstellungen eines Architekten wieder erstanden. Und zweimal täglich, pünktlich auf die Minute, versank Atlantis – die Insel, die Tempel und die Götter.
Bei Tag war das Spektakel weniger dramatisch als abends, wenn die Tempel von Fackeln beleuchtet wurden und aus scheinbar vulkanischen Erdspalten die Flammen schlugen. Es gab sogar Geräuscheffekte –
herabfallende Steine, schreiende Menschen. Während Catherine das apokalyptische Ereignis beobachtete nahm sie auch die Menschenmenge wahr, die sich um den See drängte und die Katastrophe bestaunte. Ihr Verstand sagte ihr zwar, daß es sich um eine Illusion handelte, wie man sie von Disneyland und anderen Freizeitparks kannte – mit versteckten Mechanismen, Räderwerken, Winden und einem Computer, der das Ganze steuerte. Doch der Realismus der Schau ängstigte sie plötzlich, als sei das ein Vorgeschmack dessen, was in der Nacht des 31. Dezember, also in acht Tagen, geschehen würde. Ihr Herz schlug schneller, und ihr Mund wurde trocken. Flammen loderten in den Himmel, als wollten sie die Sterne verschlingen; eine Säule, die aussah, als sei sie aus Granit, schwankte, barst und stürzte unter lautem Getöse zusammen. Me-terhohe Flutwellen türmten sich auf und begruben Atlantis unter sich. Die riesige Statue einer Göttin auf dem höchsten Punkt der Insel schwankte und drehte sich um die eigene Achse, bis auch sie ins Wasser stürzte und wie ein Baumstamm rollte, bevor auch sie versank. Plötzlich war alles verschwunden: Atlantis, eine ganze Zivilisation, war untergegangen, und im glatten, stillen Wasser des Sees blieb keine Spur von den Werken der Menschen zurück. Catherine und Michael schwiegen. Dann sagte Catherine: »Wie kann man aus einer solchen Katastrophe Unterhaltung machen? Haben Sie die Zuschauer da unten gehört? Über das Schauspiel einer gewaltigen Zerstörung, die sehr realistisch mit den Schreien von Menschen in Todes-angst unterlegt war, haben diese Leute gejohlt und gelachtl«
»Es ist doch nur eine Show. Es ist nichts Wirkliches.«
»Und gegen eine Show darf man nichts einwenden? Wie oft müssen wir solche Dinge in dem Bewußtsein sehen, daß es
Weitere Kostenlose Bücher