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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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in der Sonne glitzernde blaugrüne See überblickte. Hohe Wellen brandeten an die Küste, und ein Stück den Strand hinunter konnte ich eine Flotte von Fischerbooten erkennen, die ihrem Tagwerk nachgingen.
    Auf der anderen Seite des Kanals lag England – ich würde endlich nach Hause kommen.
    Nostradamus, der sich längere Zeit mit dem Wirt unterhalten hatte, sagte: »Für die Fahrt über den Damm ins Calaisis, das englische Randgebiet, und in die Stadt müssen wir einen Wagen nehmen. Es gibt nur diesen einen Weg, und die Reise ist nicht ungefährlich. Auf dem Damm gibt es nichts, keine Häuser, keine Menschen, er führt durch einsames Sumpfgebiet. Wenn es dort einen Sturm gibt, und wir ihm ungeschützt ausgesetzt sind, kommen wir um.«
    Ich sah zum klaren Himmel hinauf. »Es sieht nicht nach Sturm aus.«
    Nostradamus warf mir einen Blick zu.
    »Ach so«, sagte ich. »Natürlich. Gut – lasst uns sofort aufbrechen.«
    Wir mieteten einen Wagen, der von schweigsamen, abgehärteten Männern gelenkt wurde. Als es Mittag wurde, war die Sonne verschwunden; keine Stunde später brachen Sturm und Regen los. Wir kauerten unter einer Plane, die bald zusammenfiel. Zitternd im eisigen Wind hielten wir uns aneinander fest.
    »Wenn ich hier sterbe«, schrie ich Nostradamus zu, »kann dann jemand anders verhindern, dass der Becher gereicht wird?«
    »Nein«, schrie er zurück. »Es muss Eure Hand sein.«
    Der Himmel verfinsterte sich noch mehr, der Sturm nahm weiter zu, und es goss in Strömen. Mir war so kalt wie nie zuvor in meinem Leben, und ich litt kaum erträgliche Schmerzen. Vielleicht wäre es ein Gottessegen, wenn ich einschlafen könnte.
    Nostradamus schüttelte mich. »Nein, nein, bleibt hier«, schrie er mich an. »Hört meine Stimme.«
    Doch die Dunkelheit hüllte mich ein, und aus ihr trat Edmunds Gesicht hervor. Ich sah ihn so wie damals, als er nach HowardHouse in Southwark gekommen war. Seine Haare waren lang und seine Schuhe schmutzig. Ich hörte Nostradamus nicht mehr. Ich hörte nur Edmund.
    »Ich bin gekommen, um Euch nach Hause zu holen, Schwester Joanna. Ich bin gekommen, um Euch nach Hause zu holen.«
    »Edmund«, stöhnte ich. »Helft mir.«
    Ich sank in eine Art Traum. Er lächelte mir zu, ein wenig scheu, stille Weisheit in den Augen. Nicht die stumpfe Leere jenes Abends, an dem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Wir waren in Dartford, einander versprochen, und er hielt sein Gedichtbuch in den Händen, an der Seite eingemerkt, die er gleich vorlesen würde.
    Edmund, rief ich in meinen Gedanken, warum habt Ihr mich verlassen? In der Kapelle von Blackfriars habt Ihr versprochen, immer für mich da zu sein, erinnert Ihr Euch. Doch Ihr habt Euer Versprechen nicht gehalten. Ihr habt mich verlassen.
    Dann war nichts mehr.
    Stimmen drangen schließlich zu mir, doch es waren fremde Stimmen: »Sie ist eiskalt – so kalt wie der Tod.«
    »Wir müssen sofort einen Arzt holen.«
    Dann hörte ich Nostradamus. »Ich bin Heilkundiger. Ich kümmere mich um sie.«

    Als ich die Augen aufschlug, war es dunkel, und es regnete nur noch leicht. Straßenlärm umgab mich, und Menschen starrten mich an, als ich an ihnen vorüberschwebte. Ich hob den Blick und sah in das Gesicht von Nostradamus. Er trug mich durch Calais.
    »Wohin gehen wir?«, krächzte ich.
    »Aus der Stadt hinaus«, sagte er.
    Mehr hörte ich nicht. Die Dunkelheit zog mich wieder in ihren Schoß.
    Nur Augenblicke später, wie mir schien, erwachte ich in einem Bett neben einem Fenster. Der Himmel war hellgrau; ich hörte die Rufe von Meeresvögeln.
    Ein hübsches dunkelhaariges Mädchen stand auf und klatschte in die Hände. »Sie ist wach«, rief sie auf Französisch und eilte aus dem Zimmer.
    Wenig später trat Nostradamus zu mir. »Wie geht es Euch?« Er umschloss einen Moment mein Handgelenk, dann zog er meine Augenlider hoch.
    »Ich glaube, es ist alles gut«, sagte ich. »Wo sind wir hier?«
    »Bei Freunden.«
    »Wie lange bin ich schon hier?«, fragte ich.
    »Drei Tage. Ihr wart dem Tod sehr nahe. Vergebt mir, ich wusste, dass es Sturm geben, doch nicht, dass er so heftig toben würde.«
    Ich setzte mich auf. Mir war noch ein wenig schwach. »Ich erinnere mich, dass Ihr gesagt habt, wir gingen aus der Stadt hinaus. Was habt Ihr damit gemeint?«, fragte ich.
    »Wir sind hier in einem jüdischen Haus, Joanna«, antwortete er. »Ich bin als Erstes in den Tempel gegangen und habe um Hilfe gebeten.«
    Er wartete, wie ich das aufnehmen würde.
    »Ich

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