Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
danke diesen Menschen für ihre Freundlichkeit und würde es ihnen gern selbst sagen«, sagte ich.
Später ging ich hinunter und lernte die ganze Familie Benoit kennen: Monsieur Benoit, einen Händler, seine Frau und seine drei Töchter. Die jüngste, Rachel, hatte die meiste Zeit an meinem Bett gesessen. »Können wir es ihr jetzt zeigen?«, fragte sie aufgeregt.
»Was denn?«, fragte ich.
»Etwas, das für Eure Reise nach England von Bedeutung ist«, antwortete Nostradamus. »Etwas Erfreuliches.«
»Dann möchte ich es sehen«, sagte ich sofort, ohne seine Vorhaltungen zu beachten, dass ich noch nicht kräftig genug sei, um so weit zu laufen. Keiner wollte mir verraten, was ich zu sehen bekommen würde – Rachel meinte, es solle eine Überraschung sein, eine schöne, und obwohl ich es kaum erwarten konnte, eine gute Nachricht zu erhalten, richtete ich mich nach ihrem Wunsch.
Nach einer kräftigenden Mahlzeit machte ich mich mit Nostradamus und Rachel auf den Weg. Das Haus der Familie Benoit lag außerhalb der hohen Stadtmauern von Calais im jüdischen Viertel. Die Wächter am Stadttor nickten uns zu. Endlich war ich in Calais, dem berühmten Hafen, den Eduard III. nach langer Belagerung schließlich eingenommen hatte und der jetzt der einzige verbliebene Besitz der englischen Krone im Königreich Frankreich war.
Rachel wies auf eine stattliche Kirche mit hohem Turm. »Da sieht man am besten.«
Ich sah Nostradamus verwundert an.
»Von Notre Dame aus hat man den besten Blick über den Hafen«, erklärte er lächelnd. »Vielleicht bekommen wir die Erlaubnis, auf den Turm zu steigen.«
Am Kirchenportal stieß Rachel mich aufgeregt vorwärts. »Ich warte hier draußen«, sagte sie, als Nostradamus und ich in die Kirche traten.
Der Priester gewährte uns unsere Bitte, und wir stiegen langsam die Treppe hinauf.
»Hier sehen wir alles«, rief Nostradamus. »Kommt.«
Ich trat neben ihn ans Fenster. Von hier aus konnten wir über die hohe Hafenmauer hinweg zu den schäumenden Wassern des Kanals sehen. Es lagen viele Schiffe im Hafen. Die kleineren schaukelten im scharfen Winterwind. Es mussten um die zwanzig sein. Beim Anblick der Flagge, die auf einer der größten Galeonen flatterte, stieß ich einen Schrei aus. Es war die Flagge des Hauses Tudor.
»Das sind ja englische Schiffe«, rief ich.
»Der König von England hat sie gesandt, um seine Braut nach Dover zu bringen«, sagte Nostradamus. »Anna von Kleve ist nicht nach Antwerpen gereist, um von dort aus überzusetzen. Sie ist auf dem Weg durch die Niederlande hierher, nach Calais. Die Prinzessin wird schon sehr bald eintreffen. Ihr werdet mit Anna von Kleve die Heimreise antreten.«
Kapitel 49
Eine Woche später traf Anna von Kleve mit ihrer Entourage von mehr als zweihundert deutschen Edelleuten und Bediensteten in Calais ein. Die Kanoniere auf den größten Schiffen feuerten hundertfünfzig Salutschüsse zu ihrer Begrüßung ab; etwa fünfhundert Soldaten in königlicher Uniform säumten die Straßen und jubelten ihr zu. Die junge Prinzessin stieg in einem vornehmen Herrschaftshaus ab, das den Namen Exchequer führte, während ich weiterhin bei den Benoits im jüdischen Viertel außerhalb der Stadtmauern wohnte. Es war unwahrscheinlich, dass unsere Wege sich kreuzen würden.
Doch vor den rauen Winterstürmen des englischen Kanals sind alle Menschen gleich. Anna von Kleve musste tagelang in der Hafenstadt auf gutes Wetter warten. Ich hatte am Tag vor der Ankunft der Deutschen auf einem der kleineren englischen Begleitschiffe eine Passage nach Dover gebucht und mit meinem letzten Geld bezahlt. Um mich auszuweisen, legte ich neue gefälschte Urkunden vor. Mein Name war diesmal der richtige; gefälscht war aber die Unterschrift eines französischen Stadtrats auf dem Dokument, das mir die Ausreisegenehmigung bescheinigte.
Nostradamus, der mir das Papier besorgt hatte, riet mir, nicht weiter nach dessen Herkunft zu fragen, versicherte mir jedoch, dass es ausreichen würde. Als ich ihm dafür dankte sowie für alles, was er seit unserem Aufbruch aus dem Gravensteen für mich getan hatte, sagte er: »Nein, ich muss Euch danken, Demoiselle Stafford. Ihr habt mich aus dieser Gefängniszelle befreit, obwohl Ihr es nicht hättet tun müssen.«
Bevor er abreiste, um nach Südfrankreich zurückzukehren, unternahmen wir einen letzten Spaziergang am Strand von Calais, an den Hütten der Heringsfischer gleich nördlich der Sanddünen vorbei. Außer uns war niemand
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