Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
»Sagt so etwas nicht. Es wird ein Verfahren geben – man wird Euch anhören. Wie könnt Ihr so sicher sein, dass es keine Hoffnung gibt?«
»Weil ich Heinrich Tudor kenne«, antwortete er. »Wenn ich ehrlich bin, ist dies beinahe eine Erleichterung, Joanna. Ich habe unendlich lange Jahre Tag für Tag im Schatten des Beils gelebt, nicht weil man mir etwas hätte vorwerfen können, sondern weil ich der bin, der ich bin. Ein Mitglied des Hauses York. Heinrich VII. hat schon so viele aus unserer Familie gemordet. Jetzt vollendet der Sohn das Werk des Vaters.«
Jede Widerrede wäre einer Beleidigung seiner Intelligenz gleichgekommen. Tränen traten mir in die Augen, und ich umfasste seinen Arm fester. Uns gegenüber stieß Sir Edward Neville Montagues Sohn sachte an, und die beiden rückten auf der Bank weiter nach vorn in den Wagen, wo sie außer Hörweite waren.
Montague lächelte und wischte mir eine Träne von der Wange.
»Ich möchte Euch nicht so zurücklassen«, flüsterte ich.
»Ach, Joanna«, sagte er, mein Gesicht mit seinen Händen umschließend, »Ihr könnt doch nicht einen Toten lieben.« Wiederdrehte er den Kopf, um nach hinten zu blicken. »Scovill muss jetzt bald etwas tun, in wenigen Minuten sind wir am Tower.«
Als ich mich ebenfalls umdrehen wollte, sagte er: »Nein, nicht.« Er legte mir fest den Arm um die Taille. »Sobald er ausschert, springe ich über Euch hinweg und versuche, die Soldaten abzulenken. Haltet Euch bereit, damit Ihr loslaufen könnt, wenn ich das Zeichen gebe.«
Die Straße führte näher zur Themse. Wir waren fast am Ziel.
»Näher, näher«, murmelte Montague, den Kopf von mir abgewandt. Sein Körper war zum Sprung gespannt.
In mir wehrte sich immer noch etwas gegen diesen Plan, der mir vom Wahnsinn diktiert schien. Wohin wollte Geoffrey mich bringen – wohin würden wir uns wenden? In Dartford würde man zuallererst nach mir suchen. Und was würde aus Arthur werden? Würde es mir gelingen, ihn zu holen, wenn mir ein ganzer Trupp Soldaten auf den Fersen war? Doch mein Wunsch zu fliehen, mich irgendwie in Sicherheit zu bringen war beinahe unwiderstehlich. Es gab auf Erden keinen Ort, den ich so sehr fürchtete wie den Tower.
»O nein!«, sagte Montague erbittert. »Nicht das.«
Ich hörte den donnernden Hufschlag mehrerer Pferde. Geoffrey befand sich dicht hinter den beiden Fußsoldaten am Schluss unseres Zugs. Doch zu seinen beiden Seiten tauchten jetzt mindestens zehn Reiter auf. Einer hielt eine Fackel, in deren Schein ich seine Tracht erkennen konnte. Er trug nicht die Farben der Tudors und auch nicht die der Courtenays. Dieser Mann trug ein schwarzes Wams mit einem goldgestickten Zeichen darauf. Einem goldenen Löwen.
Schwarz und Gold. Die Farben der Familie Howard.
Thomas Howard, Herzog von Norfolk, galoppierte auf einem massigen Grauen heran. Die Gruppe seiner Leute teilte sich, um ihm Platz zu machen.
»Dudley«, rief er laut und richtete sich in den Steigbügeln auf. »Kommt hierher nach hinten, Dudley!« Seine Stimme klang wie Donnerhall.
In heillosem Durcheinander kam der ganze Zug ruckartig zum Stehen. Pferde stiegen wiehernd hoch, als Thomas Howards Leute die von Dudley befehligten Soldaten des Königs umringten. Geoffrey konnte ich nirgends mehr sehen. Er war im Chaos verschwunden.
Montague zog seinen Arm zurück und beugte sich vor, um leise und eindringlich auf Sir Edward Neville einzureden.
Dudley trabte an unserem Fuhrwerk vorbei dem Herzog von Norfolk entgegen.
»Ich habe hier den Befehl, Durchlaucht«, erklärte er sehr selbstsicher. »Möchtet Ihr die Papiere sehen?« Er griff in sein Wams.
»Ich weiß, dass Cromwell Euch ausgewählt hat«, versetzte der Herzog. »Allerdings hat Seine Majestät mich beim Abendessen beauftragt, bei dieser Verhaftung nach dem Rechten zu sehen. Und mit rechten Dingen scheint mir da gar nichts zugegangen zu sein. Ich komme eben vom Haus der Familie Courtenay. Und was habe ich dort vorgefunden? Einen Halbtoten in der Suffolk Lane und zwanzig zeternde Bedienstete.« Er wies auf die Fuhrwerke. »Alle diese Personen gehören dem höchsten Adel an – Ihr könnt sie nicht zusammentreiben wie Diebe und auf ein Fuhrwerk verfrachten. Ihr seid dieser Verantwortung nicht gewachsen.«
Ich sah nur Dudleys Rücken und konnte nicht erkennen, wie er diese verächtlichen Worte aufnahm, die da vor seinen Leuten und uns Gefangenen auf ihn niederprasselten.
Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Norfolk vom Pferd und ging
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