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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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schnellen Schritts zu unserem Fuhrwerk. Im Fackelschein schien mir, als seien die Falten in seinem Gesicht seit dem vergangenen Jahr noch tiefer geworden. Er bewegte sich noch immer wie ein junger Mann, doch sein Gesicht erinnerte an einen Totenschädel.
    »Lord Montague, Sir Edward, hat man Euch misshandelt?«, blaffte er. »Wer ist die Frau?«
    Erst als er so nahe war, dass er die Hand auf den Wagenrand legen konnte, erkannte er mich. »Bei Gott, ich fasse es nicht«, rief er. »Joanna Stafford, was tut Ihr hier?«
    Dudley saß ebenfalls ab, und die beiden Männer begannen in heftigen Worten über die Rechtmäßigkeit meiner Verhaftung zu streiten. Dudley war eindeutig im Unrecht – mein Name stand nicht auf den Haftbefehlen, und ich hatte nichts getan oder gesagt, was man mir hätte vorwerfen können. Doch gerade aus diesem Grund verteidigte er sein Handeln mit größter Hartnäckigkeit.
    Norfolk stellte mir nicht eine einzige Frage. Sie redeten über mich – meine angebliche Verlobung mit Montague, meinen Aufenthalt in der Suffolk Lane, sogar meine frühere Zugehörigkeit zum Kloster Dartford –, aber sie redeten nicht mit mir. Wieso sollte ausgerechnet Norfolk sich für mein Schicksal interessieren? Wenn überhaupt, hätte er sich über meine Verhaftung freuen müssen. Er selbst hatte im letzten Jahr die Verhöre geleitet, als man im Zusammenhang mit der Hinrichtung meiner Cousine Margaret Bulmer prüfte, ob ich mich des Verrats schuldig gemacht hatte. Er hatte mich sogar ins Gesicht geschlagen, als ich unter seinen Fragen nicht klein beigegeben hatte.
    »Ich übernehme persönlich die Verantwortung für sie«, erklärte Norfolk.
    »Aber sie ist keine Angehörige Eurer Familie«, entgegnete Dudley.
    »Wisst Ihr nicht, dass meine Gemahlin eine Stafford ist, die Cousine dieser Dame?«, gab Norfolk zurück. »Mein Schwager, Lord Henry Stafford, hat mich mit der Sorge für die Familie Stafford betraut.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich, aber niemand außer Montague hörte mich, und der warnte leise: »Sagt nichts – besser Norfolk als der Tower.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Da besteht kaum ein Unterschied.«
    Doch schon im nächsten Moment war es entschieden. Meine Verhaftung würde aufgehoben und ich unverzüglich in Norfolks Obhut übergeben werden. Norfolk drängte sich nach vorn durch, um mit Henry Courtenay zu sprechen. Dudley saß wieder auf und begab sich zurück an die Spitze des Zugs. Im Vorüberreitenwarf er mir einen hasserfüllten Blick zu. Ich kehrte ihm den Rücken und sah Montague an.
    Es gab keine Worte. Er würde in den Tower überführt werden, während ich auf unerklärliche Weise meine Freiheit wiedergewonnen hatte. Und was waren wir einander? Nichts. Alles.
    »Ich bete für Euch«, sagte ich schließlich.
    Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ach ja, Ihr wärt ja beinahe Nonne geworden. Eine Frau, für die heute Abend zwei Männer zu sterben bereit waren.« Er zog meine Hand an die Lippen und küsste sie.
    Norfolks Leute halfen mir vom Wagen. »Besorgt ihr ein Pferd«, rief Norfolk, der in diesem Moment zurückkam. Dann ging er zu seinem eigenen Pferd und rief seine Leute zusammen.
    »Lebt wohl«, flüsterte ich Montague zu.
    Er nickte, dann rief er Norfolk zu: »Auf ein Wort, Durchlaucht?«
    Obwohl der Herzog eben aufsitzen wollte, kehrte er noch einmal zum Wagen zurück, um sich anzuhören, was Montague zu sagen hatte. Ich hatte nie erlebt, dass er irgendeinem anderen Respekt gezollt hatte – außer Bischof Gardiner.
    »Jetzt ist außer Euch keiner mehr übrig, Howard«, sagte Montague. »Seid bereit.«
    Norfolk zuckte ein klein wenig zusammen – nur Montague und ich konnten es bemerkt haben –, dann verneigte er sich. Der Kutscher gab den Pferden vor dem Fuhrwerk knallend die Peitsche. Norfolks Hand schoss vor. Er schlug so heftig auf die Wand des Wagens, dass es ihn beinahe von den Füßen gerissen hätte, als sich der Wagen mit einem heftigen Ruck in Bewegung setzte.
    Montague blickte nicht zurück. Er saß mit hoch erhobenem Kopf, ich sah sein Gesicht nur im Profil. Sein Stolz – dieser Stolz, der von so vielen als Arroganz ausgelegt wurde – würde ihm, so hoffte ich, Kraft geben. Es war das Einzige, was er jetzt noch hatte.
    Ich warf einen Blick auf Norfolk, der nun, da er direkt neben mir stand, einiges von seiner furchterregenden Imposanz eingebüßthatte. Sein vom Alter gezeichnetes Gesicht war zur Grimasse verzogen. Als er meinen Blick bemerkte, sagte er unwirsch:

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