Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Zeichens von ihm. Als es ausblieb, begannen die beiden Männer von Neuem, den am Boden liegenden Joseph zu treten.
Endlich hob Dudley die Hand. »Halt.«
James rannte zu seinem besinnungslosen Bruder und knieteneben ihm nieder. Er umschloss Josephs blutigen Kopf mit den Händen und hob ihn mit äußerster Behutsamkeit an.
Im vorderen Wagen sank Gertrude ohnmächtig auf der Bank zusammen. Ihr Mann und Constance hielten sie fest. Edward weinte. Es war totenstill in der Suffolk Lane, bis auf das Weinen des Jungen.
Mir war übel. Ich schloss die Augen und hielt mich an der Holzbank fest, aus Angst, ich könnte ebenfalls ohnmächtig werden.
Erst als der Wagen mit einem Ruck anfuhr, öffnete ich die Augen wieder. Wir waren unterwegs zum Tower, und ich bezweifelte, dass ich das Haus in der Suffolk Lane je wiedersehen würde.
Kapitel 22
Schweigende Menschengruppen säumten unseren Weg, ohne Rücksicht darauf, dass längst die Nachtruhe ausgerufen war. Irgendwie hatte sich herumgesprochen, wer in diesen von königlichen Soldaten scharf bewachten Fuhrwerken saß. Vielleicht war die Kunde von den Bootsleuten ausgegangen, sie waren immer die Ersten, die alles wussten.
Das letzte Abendlicht war geschwunden. Doch die schmale Mondsichel am Novemberhimmel leuchtete hell genug, um den trutzig über den Häusern und Kirchen der Stadt aufragenden Bau aus der Dunkelheit zu heben, der unser Ziel war: den vierkantigen Burgfried und die Ringmauern des Tower of London.
Von meinem Platz ganz am Ende des Wagens konnte ich Dudley nicht sehen, er ritt mit der Mehrheit seiner Leute an der Spitze unseres Zugs. Unserem Fuhrwerk folgten nur ein Reiter und, etwas weiter zurück, in schnellem Tempo zwei Fußsoldaten mit geschulterten Piken.
In einigem Abstand hinter ihnen ritt ein Mann allein, seiner Kleidung nach jedoch kein Soldat. Um nicht nach vorn schauen zu müssen, wo der bedrohliche Anblick des Tower den Horizont versperrte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn. Er musste zu Dudleys Leuten gehören, ich konnte mir nicht vorstellen, wer sonst uns begleiten sollte. Von den Bediensteten der Courtenays würde es nach dem brutalen Überfall auf Joseph gewiss keiner wagen. Doch warum hielt er sich so vorsichtig zurück? Es sah aus, als läge ihm viel daran, unbemerkt zu bleiben.
Noch während ich ihn beobachtete, verringerte sich der Abstand zwischen ihm und den beiden Fußsoldaten ein wenig, und ich konnte ihn im Schein der Fackeln, die hier an der Straße standen, etwas deutlicher erkennen. Er schüttelte die Zügel und klopfte sich ungeduldig auf den Schenkel. Bei dieser vertrauten Geste durchzuckte mich ein solcher Schock, dass ich aufsprang.
Der einsame Reiter war Geoffrey Scovill.
»Starrt ihn nicht so an«, murmelte Montague und zog mich auf die Bank zurück. Er schien mit seinen Gedanken woanders zu sein. Sein Blick flog zu seinem Sohn und seinem Schwager, die uns gegenübersaßen, und dann zu den Soldaten hinter uns.
»Das ist doch Wahnsinn«, jammerte ich. »Warum tut Geoffrey das?«
»Das ist eine törichte Frage und Ihr seid keine törichte Frau«, antwortete Montague. »Haltet Euch ganz still. Ihr dürft Euch nicht noch einmal umdrehen. Ihr dürft die anderen nicht auf ihn aufmerksam machen.«
Er beugte sich vor und schob seine Hände zu den Knien hinunter. Langsam, wie beiläufig drehte er den Kopf und blickte nach vorn, an unserem Kutscher vorbei zu dem Fuhrwerk und den Soldaten vor uns. Dann schaute er nach hinten. Nach einigen Sekunden nickte er wie in Antwort auf eine Frage und lehnte sich wieder auf der Bank zurück, setzte sich ein wenig schräg und ließ einen Arm hinter mir über den Rand des Wagens hängen. Ich spürte, wie sein Arm sich drehte und dann anspannte, als machte er eine Bewegung. Als gäbe er ein Signal.
»Was tut Ihr da?«, zischte ich.
»Ich helfe Euch zu fliehen, Joanna.«
Wütend flüsterte ich zurück: »Ihr seid ja wahnsinnig. Es sind doch überall Soldaten.«
»Constable Scovill und ich sind bewaffnet – das müsstet Ihr doch wissen.«
»Ihr kommt also mit uns?«
»Nein«, entgegnete Montague. »Niemals könnte ich meinen Sohn und die Courtenays im Stich lassen. Und alle können wir nicht fliehen. Das schaffen wir nicht. Doch für einen müsste das Überraschungsmoment reichen.«
»Aber das wird für Euch alles nur schlimmer machen«, protestierte ich.
»Mich kann nichts retten«, versetzte Montague ruhig. »Ich werde im Tower sterben.«
Ich schüttelte erregt seinen Arm.
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