Die Prophezeiung der Schwestern - 1
Es liegt lediglich in der Reihenfolge, wie ich und meine Schwester aus dem Leib unserer Mutter gepresst wurden?
»Aber ich habe nicht darum gebeten. Wie kann ich es sein, wenn ich es nicht sein will?«
Mit den Fingerspitzen drückt sie gegen ihre Lippen. »Ich glaube, es war nicht so geplant.«
»Was … was willst du damit sagen?« Langsam setze ich mich wieder in den Sessel.
Sie beugt sich vor und schaut mir in die Augen. »Deine Mutter hatte eine mühevolle Schwangerschaft. Die meiste Zeit musste sie im Bett liegen, und zum Schluss …« Sie schaut wieder ins Feuer, mit einem entrückten Blick.
»Zum Schluss - was?«
»Eigentlich hätte Alice zuerst geboren werden sollen. Sie lag mit dem Kopf nach unten, bereit zur Entbindung, während bei dir die Füße unten waren und der Kopf nach oben zeigte. Das ist bei einer Zwillingsgeburt nicht ungewöhnlich, behauptete der Arzt. Und in jedem anderen
Fall hätte es überhaupt keine Rolle gespielt. Aber deine Mutter … Sie konnte Alice nicht gebären. Die Wehen dauerten an, Lia, so lange, bis ich dachte, es bringt sie um.«
»Aber das tat es nicht.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, obwohl ich behaupten möchte, dass vor gar nicht langer Zeit eine Mutter, die eine so schwere Geburt durchstehen musste wie deine, vermutlich gestorben wäre. Aber dein Vater war ein reicher Mann, der für seine Gemahlin und seine ungeborenen Kinder die beste Versorgung gewährleisten konnte. Der Arzt, der sich um deine Mutter kümmerte, der Alice und dich zur Welt brachte, war mit Techniken vertraut, die damals als gefährlich galten - und wohl immer noch so eingeschätzt werden -, einschließlich des Kaiserschnitts.«
»Was ist das?«
Ihre Augen suchen meine. »Er hat sie aufgeschnitten, Lia. Er hat sie betäubt und aufgeschnitten. Es war die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu retten, und auch das von euch Mädchen. Als er sie öffnete, packte er nicht Alice, wie es hätte sein sollen, sondern dich. Alice lag dem Geburtskanal näher, aber du befandest dich direkt hinter dem Einschnitt, den der Arzt machte. Ich glaube nicht, dass es so geplant war.«
»Aber woher weißt du das? Woher weißt du das alles?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich wusste es nicht. Wir wussten es nicht. Als deine Mutter aufwachte, dankten wir Gott für seine Gnade und für dein und Alices Leben. Danach
sprachen wir nie wieder darüber. Erst später … nachdem ich zu ahnen begann, dass du das Tor sein könntest, kam mir in den Sinn, dass dies mit der Einmischung des Arztes bei der Geburt zusammenhängen könnte.«
»Aber trotzdem … Woher willst du wissen, dass es nicht genau so vorherbestimmt war?«
»Weil ich den Ausdruck in Alices Augen sehe, Lia. Und wenn sie dich anschaut, habe ich Angst um dich.« Sie blickt sich um, als ob sich jemand auf leisen Sohlen hereingeschlichen hätte, während wir uns unterhielten. »Ich sehe ihre Wut, ihr Verlangen, ihre Gier. Und in dir …«
»Was?«
Sie zuckt leicht mit den Schultern. »In dir sehe ich etwas anderes, etwas … Wahrhaftiges, das sich schon in deiner frühesten Kindheit zeigte.«
Das Feuer im Kamin ist heruntergebrannt und der Mangel an Wärme lässt den Raum kälter erscheinen als er ist, hohl und tot. Nach geraumer Zeit richtet Tante Virginia ihren Blick auf mein Handgelenk.
»Darf ich es sehen?« Sie stellt die Frage vorsichtig, als ob sie um viel mehr bitten würde als nur um einen Blick auf mein Handgelenk.
Ich nicke und strecke ihr den Arm entgegen. Ihre Hände sind warm und trocken auf der zarten Haut meines Innenarms. Dann schiebt sie den Ärmel meines Nachthemds hoch.
»Oh!« In ihrer Stimme liegt Überraschung. »Es … es ist anders.«
Ich schaue auf mein Zeichen. »Inwiefern?« »So eins habe ich noch nie gesehen.« Sanft fährt sie mit ihrem Finger darüber. »Die Tore … Nun, sie tragen immer das Zeichen der Schlange. Aber ich habe noch nie eins mit einem C gesehen.«
Ihre Worte erinnern mich daran, dass ich ihr noch nichts über Sonias und Luisas Zeichen erzählt habe. »Da ist noch etwas …«
»Ja?«
»Sonia und Luisa haben ebenfalls dieses Zeichen, aber ihre sind so, wie du beschrieben hast. Ohne den Buchstaben C in der Mitte. Was hältst du davon?«
Sie schaut mir in die Augen. »Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht hat es etwas mit den anderen zu tun …«
Ihre Worte sorgen dafür, dass ich mich aufrichte. »Mit welchen anderen?«
»Mit den anderen Kindern, die das Zeichen tragen. Mit denjenigen, die dein Vater
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