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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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war.
    Es ist der einzige Ort, der mir einfällt.
    Wir sprachen nicht darüber, was wir tun werden, wenn wir die Liste in Händen halten, wie wir es anstellen wollen, die beiden verbliebenen Schlüssel ausfindig zu machen. Niemand sprach es aus, aber wir alle sind uns einig: Eins nach dem anderen oder wir werden alle in kürzester Zeit verrückt.
    Ich sitze mit dem Rücken gegen das hohe Kopfteil meines Bettes gelehnt da und versuche, wach zu bleiben. Ich habe mir Bänder um das Handgelenk geknotet. Selbst wenn das Medaillon den Weg zu meinem Arm findet, wird es nicht in der Lage sein, sich mit dem Zeichen zu vereinigen, es sei
denn, die Bänder werden vorher entfernt. Aber auch diese Möglichkeit kann ich nicht ausschließen. Das Medaillon ist auf den unglaublichsten Wegen zu mir gelangt, selbst aus den Tiefen des Flusses. Was kann ich anderes tun, als mich der Wahrheit zu fügen, dass es mir gehört?
    Und zu versuchen, es nicht anzulegen, nicht das Tor zu öffnen.

23
     
     
     
     
    D as Feld, auf dem ich stehe, ist öde und kahl. Die sanften Hügel und die tiefen Täler kommen mir vertraut vor, und mir ist so, als befände ich mich auf einem der vielen Äcker, die an Birchwood Manor grenzen. Aber mit dem hohen Gras und den riesigen Eichen am Rand des Feldes endet das Gefühl der Vertrautheit und des Erkennens.
    Der Himmel ist von einem Grau, das nicht von dieser Welt zu sein scheint, ein Spiegel des aschfarbenen Landes, das nichts mit dem saftigen goldenen Gras gemein hat, das Birchwood die meiste Zeit des Jahres erglühen lässt. Die Baumlinie am Rande des Ackers ist so schwarz, dass sie fast lila wirkt. Es ist ein Ödland, deutlich zu erkennen und zugleich fremd in seiner Leere. Die Kälte beißt sich durch den dünnen Stoff meines Nachthemdes, und meine Füße, die auf dem toten Gras stehen, sind nass vom Tau. Mir ist klar, dass ich mit den Schwingen reise, und heute bedaure ich, dass meine physischen Empfindungen nicht
gemeinsam mit meinem Körper in der irdischen Welt zurückblieben.
    Die Bänder sind immer noch um mein Handgelenk gewickelt. Das Medaillon ist nicht da. Das Untier wird in dieser Nacht nicht mit meiner Hilfe in die Welt eindringen, aber die Erleichterung, die sich bei diesem Gedanken einstellen sollte, bleibt aus. Es besteht kein Zweifel daran, dass ich gerufen wurde. Aber von wem und warum, weiß ich nicht. Nun, ich werde es vermutlich schon bald herausfinden.
    Ich drehe mich im Kreis und spähe in die Ferne, versuche, mich zu orientieren. Ich bin mir nicht sicher, aber etwas an dem Hang zu meiner Linken kommt mir bekannt vor. Ich überlege, was ich als Nächstes tun soll, als etwas meine Aufmerksamkeit erregt. Es ist klein und kommt auf mich zu. Ich kneife die Augen zusammen, und das, was ich sehe, nähert sich, wird größer, bewegt sich mit Grazie und Gleichmut. Es ist ein Mensch.
    Ein menschliches Wesen, das auf mich zugeht.
    Ich sehe keinen Sinn darin, einfach dazustehen und der Person entgegenzustarren. Wer immer es ist, wird mich bald erreicht haben. Ich gehe los, gehe auf die Gestalt zu, die jetzt rasch näher kommt. Zuerst denke ich, es ist Sonia. Sie ist die Einzige, der ich auf meinen Reisen bislang begegnet bin, die Seelen ausgenommen. Aber dann wird die Gestalt deutlicher; zuerst erkenne ich das Kleid und dann das Gesicht. Es ist Alice.
    Ich bleibe stehen. Ich habe kein Verlangen danach, unsere Begegnung an diesem toten Ort unnötig zu beschleunigen.
Und so ist sie diejenige, die mir entgegenkommt, bis sie schließlich direkt vor mir steht. Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel und lässt keinen Zweifel daran, wer das Ruder in der Hand hat, wer mich an diesen Treffpunkt befohlen hat.
    »Überrascht?«
    »Eigentlich nicht.« Ich zucke mit den Schultern. »Wer sonst sollte sich hier mit mir treffen wollen?«
    Ihr Lächeln breitet sich aus, und einen Moment lang sieht sie genauso aus wie das fröhliche Mädchen, das immer in die Hände klatschte, wenn Vater uns von seinen vielen Reisen Geschenke mitbrachte. »Aber Lia, man kann hier alle möglichen Leute treffen… allen möglichen Dingen begegnen.«
    »Warum hast du mich gerufen, Alice?«
    Ihr Lächeln verblasst, als sie die Bänder an meinem Handgelenk bemerkt. Verschwunden ist die Sanftheit ihrer Stimme. Ihr Gesicht bekommt diesen steinernen Ausdruck, an den ich mich mittlerweile gewöhnt habe. »Warum willst du das Medaillon nicht so benutzen, wie es vorherbestimmt ist, Lia? Warum kämpfst du gegen den Willen der Prophezeiung

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