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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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vom Nacken über das Rückgrat. Sonias Augen sind glasig, und ich weiß, dass sie nicht sie selbst ist.
    Ich setze mich kerzengerade auf und überlege fieberhaft, was zu tun ist, während ich mir gleichzeitig den Anschein
völliger Gelassenheit gebe. »Du musst gehen. Du gehörst nicht hierher.«
    » Ihr irrt Euch. Warum gestattet Ihr mir den Durchgang nicht? Warum wollt Ihr nach den Schlüsseln suchen, wo doch ich es bin, der Euch all Eure Wünsche erfüllen kann? Ruft mich zu Euch, Mistress, und lasst das Chaos herrschen .«
    Ich bin gebannt von diesen Augen, Sonias Augen und doch nicht Sonias Augen. Es ist morbide und gleichzeitig faszinierend, diese hohle und dumpfe Stimme aus Sonias zartem Mund kommen zu hören, ihr mädchenhaftes Gesicht dabei zu betrachten.
    »Hinfort, Geist! Du bist hier nicht willkommen.« Ich unterdrücke das Zittern in meiner Stimme, aber die Anwesenheit des Bösen und das Wissen, dass etwas zum Greifen nahe ist, das ich nicht einmal ansatzweise verstehe, lassen mich erbeben.
    » Es wird keinen Frieden geben, ehe Ihr nicht das Tor öffnet .« Es ist wie ein Gesang, eine Beschwörung aus Tausenden von Kehlen, sanft und heimtückisch. » Öffnet das Tor… Öffnet das Tor… Öffnet das …«
    Ich fahre zurück, löse meine Hände und durchbreche den Kreis, während Luisa sich nach vorne wirft, Sonia an den Schultern packt und schüttelt… schüttelt… schüttelt. »Sonia! Wach auf, Sonia! Du musst zurückkommen!«
    Ihr Flehen wird immer drängender und panikerfüllter, und die Worte des Geisterwesens verzerren sich und geraten ins Stocken. » Es ist Zeit… Zeit für die Herrschaft des Chaos .«

    Sonia versteift sich. Ihr Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse aus Schrecken und Schmerz, ehe sie schlaff zu Boden sinkt. Ich fühle, wie sich die Geisterwelt von ihr - von uns allen - löst, beuge mich über sie und hebe ihren Kopf von dem harten Boden hoch in meinen Schoß.
    »Du lieber Himmel! Du lieber Himmel!«, sagt Luisa ein ums andere Mal.
    Ich warte eine kurze Weile, bis sich mein klopfendes Herz etwas beruhigt. Dann fange ich an, auf Sonia einzureden. »Sonia! Sonia, wach auf. Komm zurück!« Laut und bestimmt spreche ich zu ihr, setze meine ganze Willenskraft und meine Angst ein, um sie zurückzuholen.
    Ich merke nicht, dass wir nicht mehr länger darauf achten, leise zu sein. Alles Weltliche ist in der klösterlichen Abgeschiedenheit meines Zimmers von uns abgefallen. Erst als sich die Tür öffnet und rasch wieder schließt, erkenne ich, dass unser Lärmen die Schlafenden geweckt hat.
    Die Schritte nähern sich rasch, aber leichtfüßig. Ich habe kaum Zeit, mir Tante Virginias Anwesenheit bewusst zu machen, als sie sich auch schon hinkniet. Mit einem Blick erfasst sie den Kreis, die Panik auf unseren Mienen, die leblose Sonia, die noch immer mit geschlossenen Augen und totenbleichem Gesicht daliegt.
    Sie schaut mich an und ihr Blick ist voller Sorge. »Was macht ihr da? Oh Lia! Was habt ihr bloß getan?«

22
     
     
     
     
    I ch habe das Gefühl, mir platzt gleich der Kopf.« Sonia liegt auf ihrem Bett. Ihr helles Haar breitet sich wie ein schimmerndes Netz über das Kopfkissen aus.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das alles ist meine Schuld. Wenn ich Sonia nicht dazu verleitet hätte, den Versuch zu unternehmen, meinen Vater zu beschwören, wäre sie nicht das Opfer dieses entsetzlichen Geistwesens geworden.
    »Geht es … geht es dir wieder besser?«, fragt Luisa vorsichtig. Ich merke, dass sie unsicher ist, wie sie sich in Tante Virginias Gegenwart verhalten soll.
    Sonia legt die Hände an die Schläfen und sagt dann: »Ja. Ja, es geht schon.« Auch sie ist bemüht, nicht auf das einzugehen, was geschah, ehe meine Tante mein Zimmer betrat.
    Aber Tante Virginia lässt sich nicht beirren. Jetzt, wo sie überzeugt ist, dass sich Sonia schon bald wieder erholen
wird, steht sie auf. »Was um Himmels willen habt ihr da nur gemacht? Was habt ihr euch dabei gedacht? Wisst ihr denn nicht, wie gefährlich die Anderswelten sein können?«
    Ich muss für das geradestehen, was ich angerichtet habe. »Es war meine Schuld. Ich… ich wollte mit Vater sprechen. Ich habe Sonia gedrängt, eine Seance durchzuführen, … zu versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.«
    Auf ihrem Gesicht zeigt sich keine Regung, keine Fassungslosigkeit, kein Unglauben. Da ist nichts außer ruhiger und gleichzeitig furchtsamer Gelassenheit. »Ihr alle, ihr habt keine Ahnung, worauf ihr euch da einlasst.« Sie

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