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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Jemand ruft nach mir von den weit entfernten Feldern. Ich hebe den Kopf und versuche, der Stimme, die mir vertraut vorkommt, ein Gesicht zuzuordnen. »Li-a!«

    Aus der Ferne fliegt eine andere Gestalt auf uns zu und ruft dabei meinen Namen. Alice ist genauso verwirrt wie ich und blickt der Gestalt neugierig und verärgert entgegen. Selbst die Schwärze über uns scheint zu zögern.
    Die Gestalt nähert sich schneller, als es in der irdischen Welt möglich wäre, überquert die Felder so rasch, dass ihr Gesicht ein undeutlicher Schemen bleibt. Erst Augenblicke bevor sie gegen mich prallt und mich mit einer solchen Heftigkeit wegschiebt, dass mir die Sinne schwimmen, erkenne ich Tante Virginia.
    Ich habe keine Gelegenheit zu sprechen, ihr zu danken oder mich um ihre Sicherheit zu sorgen. Ich strecke die Hand aus, will sie packen, damit sie mich mitnimmt, mit zurück, aber es ist sinnlos. In dem Augenblick, in dem sie mich berührt, spüre ich einen schmerzvollen Zug, der mich wegzerrt, zurück, zurück. Alice und Tante Virginia und auch die drohende Schwärze über ihnen werden kleiner und kleiner, als ich auf dem Weg zurückkehre, den ich gekommen bin, über die tote Landschaft, die unter mir dahingleitet.

24
     
     
     
     
    L ia?« Ein sanftes Klopfen ertönt. »Bist du wach?« Ich setze mich im Bett auf, erleichtert, Tante Virginias Stimme vor meiner Tür zu hören. Was immer in den Anderswelten geschah, sie hat es überstanden.
    »Ja, komm herein.«
    Zögernd betritt sie mein Zimmer, schließt die Tür und kommt zu mir, setzt sich auf die Bettkante. Eine Zeit lang sagt sie nichts, sucht nach Worten. Dann spricht sie. »Du musst dich mit den Gesetzen der Anderswelten vertraut machen, ehe du auf Reisen gehst, Lia.«
    Ich nicke. »Ich weiß. Es tut mir leid. Ich… ich wollte nicht gehen. Manchmal kann ich nichts dagegen tun: Egal wie sehr ich mich wehre, ich lande dort, auch wenn ich es gar nicht möchte.«
    »Sie rufen nach dir, Lia. Sie wissen, dass sie dich jetzt überwinden müssen, ehe du stärker wirst, ehe du deine Kräfte besser kontrollieren kannst, ehe du alle Schlüssel
gefunden hast.« Ihr Gesicht ist ernst. »Mit der Zeit wirst du lernen, die Umstände deiner Reisen besser zu beherrschen, obwohl du immer bis zu einem gewissen Maß dem Willen der Seelen unterworfen bleibst.«
    Ihr Gesicht wirkt hager und die zarten Falten um ihre Augen scheinen tiefer zu sein als gestern. »Geht es dir gut? Wurdest du verletzt?«, frage ich.
    Sie lächelt schwach. Die Erschöpfung steht in ihren Augen geschrieben. »Es geht schon. Ich bin nicht mehr jung und auch nicht so mächtig wie früher. Es gibt mehr als einen Grund, warum immer wieder neue Generationen die Verantwortung für die Prophezeiung übernehmen müssen.«
    »Wie hast du… wie hast du sie aufgehalten?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Das habe ich nicht. Ich habe deine Seele durch die Schockwirkung des Aufpralls dazu gebracht, sich wieder an die Verbindung anzuhängen, an deine Astralschnur, und dann habe ich sie mit meinen armseligen Kräften so lange in Schach gehalten, bis du dich ihrem Zugriff entziehen konntest. Immerhin war ich einst der Wächter.« Sie sagt es mit einem Anflug von Stolz.
    »So funktioniert das also. Wenn der nächste Wächter und das nächste Tor benannt wurden, haben ihre Vorgänger keine Macht mehr in den Anderswelten, nicht wahr?«
    Sie schaut auf und sucht nach den richtigen Worten. »In gewisser Weise ja, obwohl wir alle einen Teil unserer Kraft behalten, selbst wenn unsere Zeit vorbei ist. Einige bewahren mehr davon als andere, obwohl ich nicht weiß, warum das so ist. Deine Großtante Abigail, die Schwester meiner
Mutter, war einer der mächtigsten Wächter aller Zeiten. Sie war zu Dingen fähig… Sie bekämpfte die Seelen mit einer Stärke, über die heute noch in den Anderswelten gesprochen wird.«
    »Was ist aus ihr geworden?«
    »Sie ist fort.« Ihre Stimme ist leise. »Als deine Großmutter - ihre Schwester - starb, verschwand Tante Abigail spurlos.«
    Ich weiß nicht, was ich zu einer so rätselhaften Familiengeschichte sagen soll, und so wende ich mich näherliegenden Fragen zu. »Es tut mir leid, dass du kommen musstest, Tante Virginia… dass du dich meinetwegen in Gefahr begeben musstest. Ich dachte, ich sei sicher. Beim letzten Mal…«
    Alarmiert schaut sie mich an. »Beim letzten Mal?«
    Ich kaue auf meiner Unterlippe und empfinde Schuldgefühle, weil ich Tante Virginia nicht schon längst alles anvertraut

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