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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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bis sie Zweige im Rücken spürte. Sie fühlte, dass sie nicht davonlaufen durfte, sonst würde Nicolas ihr nachsetzen wie ein Wolf – und er würde schneller sein als sie. Nicolas griff nach einer jungen Birke, wie um sich daran zu hindern, ihr zu folgen. Der Stamm splitterte und ein tiefes Stöhnen kam aus seiner Kehle.
    Julies Blick fiel auf Olga, die sich schwach regte. Sie lebte also noch!
    Währenddessen knickte Nicolas die Birke wie ein Schwefelholz, dann keuchte er und brach zusammen. Julies Furcht verwandelte sich in Sorge. Ohne nachzudenken, eilte sie zu ihm und kauerte sich neben ihm nieder.
    Lauf davon!, warnte Songe, aber Julie hörte nicht auf sie, sondern nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, damit er sich nicht verletzte. Denn sein Körper zuckte, aus seinem Mund trat Schaum und auf seiner Stirn stand Schweiß. Obwohl seine Augen halb ge öffnet waren, schien er nichts wahrzunehmen. Erleichtert sah Julie, dass seine Pupillen wieder sichtbar waren. Sie streifte ihr Amulett ab und nahm seine Hand. Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich zu fassen, um dann ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit heraufzubeschwören, das sie an ihn weitergeben konnte.
    Es gelang ihr nicht, sie war zu aufgewühlt, dennoch schien ihre Gegenwart Nicolas zu beruhigen. Als sich sein Gesicht entspannte, wischte sie mit einem Rockzipfel über sein schweißnasses Gesicht.
    Nach einer Weile öffnete er die Augen ganz. Furcht und Unverständnis lagen darin. »Was ist geschehen?«, fragte er schwach. »Habe ich dich wieder angegriffen? Bist du verletzt?«
    Julie schüttelte den Kopf. »Nicht mich hast du angegriffen. Die Seiltänzerin.«
    »O nein!« Nicolas richtete sich auf, bis er im Gras kniete. Seine Finger krallten sich in die Erde und sein helles Haar, das im Mondlicht weiß aussah, fiel ihm vor das Gesicht. »Was geschieht mit mir?« Als er Julie ansah, lag in seinem Gesicht eine Qual, die kaum zu ertragen war. »Hilf mir«, sagte er. Seine Arme umschlangen sie und er vergrub sein Gesicht in ihrem Rock.
    Julie strich ihm hilflos über den Rücken.
    »Da waren wieder Bilder«, fuhr er stockend fort. »So viele Menschen, die ich nicht kenne … und Orte, an denen ich nie war. Ich dachte, mein Kopf platzt.«
    Als Julie flüsterte »Ich wünschte, ich könnte dir helfen«, löste er sich von ihr und schlang die Arme um seine eigenen Schultern. Seine rechte Hand strich dabei über die Narbe, die der Biss der Cherubs hinterlassen hatte.
    »Tut es noch weh?« Julie sah ihn forschend an.
    »Sie brennt«, sagte er. »Aber es ist ein kaltes Feuer.«
    Plötzlich durchfuhr Julie eine Erkenntnis.
    »Der Biss …«, flüsterte sie voller Entsetzen. »Er hat dich vergiftet!« Sie wollte sich neben Nicolas knien, doch er wehrte sie mit ausgestreckter Hand ab. »Sieh nach dem Mädchen«, bat er, und um ihn nicht aufzuregen, ging Julie zu Olga hinüber.
    Sie lag noch immer im Gras, hatte aber die Augen geöffnet und schien unverletzt zu sein, denn Julie sah kein Blut. Als sie das Mädchen leicht an der Schulter schüttelte, setzte sie sich auf.
    »Wo bin ich?«, flüsterte sie.
    Julie versuchte, es ihr zu erklären, doch Olga schien nicht zu begreifen, sondern starrte auf ihre Hände, die sie hin und her bewegte, als sähe sie sie zum ersten Mal. Als Julie ihr aufhalf, raschelte es am anderen Ende der Lichtung. Sie hob den Kopf: Nicolas war verschwunden.
    »Ich bringe dich zu eurem Zelt.« Sie stützte Olga, die sich weiterhin eigenartig benahm. Sie kicherte, blieb stehen, um die Blätter eines Strauchs zu betasten und gebannt dem Grillengezirpe zu lauschen. »Wer macht diese schöne Musik?«, fragte sie mit hingerissenem Gesichtsausdruck.
    »Was hat er nur mit dir angestellt?«, murmelte Julie halblaut, während sie Olga am Arm weiterzog. Mit angehaltenem Atem brachte sie das verstörte Mädchen so nahe wie möglich an Nowaks Zelt, versetzte ihr einen leichten Stoß in Richtung des Eingangs und zog sich zurück.
    Sie fuhr zusammen, als Nicolas plötzlich neben ihr auftauchte. Er trug wieder sein Hemd und wirkte nicht mehr statuenhaft, sondern wieder wie ein lebendes Wesen. Wortlos umarmte er Julie, und seltsamerweise hatte sie jetzt keine Angst mehr vor ihm.
    »Es ist nicht einmal unangenehm«, murmelte er, und Julie spürte an ihrem Hals, wie seine Lippen sich bewegten. »Es ist furchtbar, aber es gefällt mir …«
    »Und was ist mit Olga?«
    »Die kleine Seiltänzerin? Ich habe ihr nichts getan, nicht wahr?« Es klang, als wollte er

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