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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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wo sie sich aufhielt. Sie hatte ihn nicht geliebt, und deshalb existierte sie für ihn ab diesem Moment nicht mehr. Von jetzt an würde es nur noch seinen Vater für ihn geben.
    »Die Engel«, sagte er und schluckte hart. »Sie nennen sich Seraphim? Ich habe davon noch nie etwas gehört. Gibt es sie überall auf der Welt?«
    Die Comtesse nickte. »Nur wenige in jedem Land, aber sie stehen miteinander in Verbindung. Zurzeit versucht Euer Vater, die Seraphim zu einen, um sich gegen die Menschen zu erheben.«
    »Erzählt Ihr mir von meinem Vater? Wie ist er?«
    »Außergewöhnlich in jeder Hinsicht«, antwortete die Comtesse. »Ein wahrer Anführer. All unsere Hoffnungen ruhen auf ihm. Und auf Euch. Vergesst nie, wer Ihr seid, Ruben Savéan.«
    So hörte er zum ersten Mal seinen vollen Namen. Er sprach ihn lautlos nach, und erneut flossen eine Welle der Freude und das Gefühl einer nie gekannten Macht durch ihn hindurch.

5
    Paris, Juli 1789
    D ie Stille in den Straßen von St. Marcel war einer ebenso unnatürlichen Betriebsamkeit gewichen. Normalerweise waren um diese Uhrzeit nur Säufer und Huren unterwegs, anständige Leute hatten hingegen schon lange die Läden geschlossen und lagen in ihren Bet ten. Durch das Kutschenfenster sah Julie jedoch viele Gestalten hin und her eilen, die alle erdenklichen Gegenstände schleppten. Ein dicker Mann trug einen aufgerissenen alten Strohsack, eine Frau zerrte einen Leiterwagen hinter sich her, zwei Jungen hatten sich ein Türblatt auf die Schultern gestemmt. Als die Kutsche weiterfuhr, sah Julie, dass die Leute all diese Gegenstände an einer Straßeneinmündung aufeinanderstapelten, wo bereits ein brusthoher Wall ent standen war. Davor hatte man auf dem Pflaster Feuer entzündet, deren Flammenschein der Szenerie etwas Unheimliches verlieh.
    »Nieder mit dem König und seiner Brut!«, kreischte ein Greis mit hoher Stimme, der zwei große Milchkannen scheppernd auf den Haufen warf. Julie zuckte unwillkürlich zurück.
    »Sie bauen eine Barrikade«, sagte Nicolas. »Der ideale Abend, um unterwegs zu sein.«
    In dem Moment hielt die Droschke, und Julie hörte ein Poltern vom Kutschbock, einen Schrei und sah dann, wie der Kutscher, seinen verrutschten Hut festhaltend, an ihrem Fenster vorbeilief. Sekunden später wurde der Wagenschlag aufgerissen und ein Mann mit rußgeschwärztem Gesicht sah herein.
    »Hier geht’s nicht weiter. Das Volk fordert diese Kutsche zum Barrikadenbau. Sollen sich die königlichen Soldaten ruhig hertrauen!«
    »Was fällt dir ein, Bursche! Tritt zurück!« Nicolas griff nach dem Türknopf, aber der Kerl blockierte die Tür mit seiner Schulter.
    »Bist du etwa auch einer von diesen adligen Schmarotzern?« Er musterte Nicolas’ Samtjacke. Erst jetzt sah Julie, dass er ein Tischbein umklammert hielt.
    »Schon gut, ich bin Julie Lagarde, die Tochter von Jacques Lagarde, dem Uhrmacher. Ich wohne in der Rue Mouffetard.«
    »Aussteigen müsst ihr trotzdem. Das Volk benötigt diese Kutsche zum Barrikadenbau«, wiederholte der Mann und hob das Tischbein.
    »Komm mit, wir laufen«, sagte Julie zu Nicolas.
    Zuerst schien er protestieren zu wollen, doch dann erhob er sich. Der Mann mit dem Tischbein trat grinsend zurück.
    »Frechheit«, murmelte Nicolas.
    Auf der Straße roch es nach Holzfeuern und Pulver, Rauchschleier wehten durch die Dunkelheit und in der Ferne knallten immer wieder Schüsse. Doch Julie interessierte nicht, was in der Stadt vorging, sie dachte nur an ihre Eltern und strebte so eilig voran, dass sie mehrere Male beinahe gestürzt wäre. An etlichen Stellen waren Steine aus dem Pflaster gerissen, und erst nach einer Weile begriff Julie, dass sie den Aufrührern als Wurfgeschosse dienen sollten.
    Nicolas holte auf und lief schweigend neben ihr her.
    »Willst du dich nicht in Sicherheit bringen?«, fragte Julie bitter.
    »Ich würde es vorziehen, dich in Sicherheit zu bringen, meine Lie be«, sagte er spöttisch. »Es sollen Schwärme von fliegenden Unge heuern unterwegs sein in diesen Tagen, außerdem ganze Horden von Aufrührern – wie könnte ich da eine junge Dame alleine lassen?«
    Julie mochte diesen Tonfall nicht. Weshalb musste er immer so tun, als wäre alles nur ein Spiel? Aber dann dachte sie daran, dass er sich in große Gefahr begab, indem er sie begleitete. Es war genau genommen geradezu heldenmütig, auch wenn er noch so gleichgültig tat. Als er ihr galant seinen Arm bot, legte sie ihre Hand darauf.
    Sie hatten den Anfang der Rue

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