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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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Mouffetard erreicht, und Julie konnte bereits den Uhrmacherladen sehen. Sie beschleunigte ihren Schritt, doch Nicolas hielt ihren Arm fest.
    »Alles dunkel, siehst du«, sagte er und zeigte auf das Haus. »Wir sind zu spät gekommen. Und nun lass uns gehen, bevor sie uns auch noch erwischen.«
    »Ich muss erst wissen, ob es meinen Eltern gut geht!«
    »Julie, sie sind fort. Die Cherubim haben sie wahrscheinlich zu meiner Mutter gebracht, weil sie dich nicht gefunden haben. Wenn du mit mir kommst …«
    Julie hörte ihm nicht mehr zu. Sie hatten das Haus beinahe erreicht und sahen nun, dass die Eingangstür halb offen stand. Aus dem Inneren wehte sie ein kühler Luftzug an.
    »Warte«, hörte sie Nicolas sagen, dann schob er sie zur Seite. »Ich glaube nicht, dass die Cherubim noch hier sind, aber ich gehe trotzdem zuerst.«
    »Cherubim? Noch mehr Engel?«
    Nicolas schüttelte den Kopf. »Die Häscher meiner Mutter, Fleisch gewordene Bösartigkeit.« Er stieß die Haustür ganz auf und trat ein, Julie folgte ihm dicht.
    Das Haus wirkte fremd, als wäre es seit langer Zeit verlassen. Alles war unwirtlich und kalt, und ihre Schritte hallten von den Wänden wider. Ein Gestank nach Moder und faulem Fleisch ließ Julie würgen, und sie zog schnell ihr Schultertuch vor Mund und Nase. Der Luftzug kam von oben, als stünde dort ein Fenster offen.
    Nicolas legte einen Finger auf die Lippen und ging voran. Julie folgte ihm so leise wie möglich die Treppe hinauf. Der Luftzug wurde stärker, und sie sah nach oben. Im Dach klaffte ein großes Loch, durch das kaltes Mondlicht auf die Dielen floss. Nicolas bückte sich und fuhr mit dem Finger eine der tiefen Scharten nach, die den Holzboden zeichneten. Da ertönte ein lang gezogenes Geräusch, ein Gemisch aus Gurgeln und Jaulen.
    »Was war das?« Julies Finger krampften sich um das Treppengeländer. Sie musste immer wieder schlucken und biss vor Anspannung die Zähne zusammen. Nicolas wies mit dem Kinn auf die Tür des Raums, aus dem das Geräusch gekommen war. Es war das Schlafzimmer der Lagardes. Aus dem Spalt unter der Tür sickerte Licht, und wieder ertönte das furchtbare Geräusch. Mit einem Fußtritt stieß Nicolas die Türe auf. Sie schwang nach innen und gab den Blick frei auf das, was das Geräusch verursachte: Victoire, das Dienstmädchen, kauerte neben dem Bett auf dem Boden und kreischte wie von Sinnen in ihre Schürze. Die Laterne neben ihr warf ihren Schatten verzerrt an die Wand, sodass er aussah wie ein Ungeheuer.
    Das Zimmer war vollständig verwüstet: Das Bettgestell stand hochkant an der Wand, Kleider waren überall verstreut, als wäre ein Sturmwind durch den Raum gefahren. Über allem lag der Geruch von Lampenöl und derselbe Verwesungsgestank, den Julie und Nicolas schon auf der Treppe gerochen hatten. Von Gabrielle und Jacques keine Spur.
    Julie hockte sich neben Victoire und nahm sie in die Arme. Die magere Gestalt zitterte so sehr, dass Julie Mühe hatte, sie festzuhalten, aber das Kreischen ebbte ab und wurde zu einem lang gezogenen Stöhnen.
    »Schau mich an, Victoire!« Julie legte ihre Hand an die tränennasse Wange des Dienstmädchens und drehte ihr Gesicht zu sich herum. Victoire hielt die Augen fest zusammengepresst. »Neinneinneinneinnein«, bibberte sie und kniff die Augen noch fester zusammen.
    »Was ist passiert? Wo sind meine Eltern?«
    Victoire bekreuzigte sich, hob dann den Kopf und riss die Augen auf. Julie schrak zurück vor dem Wahnsinn, der darin lag.
    »Der Leibhaftige war’s!«, kreischte Victoire. »Er und seine Höllenbrut!«
    »Wer? Was genau ist passiert?«, fragte Julie.
    Verzweifelt schüttelte sie Victoires Schultern, die aber stammelte nur noch Unverständliches.
    »Es ist sinnlos.« Nicolas, der inzwischen eine Laterne gefunden und entzündet hatte, kam näher. »Der bloße Anblick der Cherubim hat ausgereicht, um sie wahnsinnig werden zu lassen. Deine Eltern sind fort, wie ich gesagt habe. Wir sind vergeblich hierhergekommen.«
    Da hob Victoire den Kopf, die Augen so weit aufgerissen, dass um ihre Iris herum das Weiße zu sehen war. »Sie sind nicht fort«, flüsterte sie heiser. »Sie sind hier!«
    »Wo?«, fragte Julie, aber das Dienstmädchen antwortete nicht, sondern starrte an ihr vorbei. Julie wandte den Kopf und folgte ihrem Blick.
    »Nicolas!«, flüsterte sie und zeigte auf das Bett. Ihre Zähne klapperten auf einmal, obwohl ihr nicht kalt war. Das, was sie fühlte, war jenseits von Angst, sie war sogar seltsam

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