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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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sich dabei die Hand auf. Scharf sog er die Luft ein und presste die verletzte Hand an die Lippen, wie er es als Kind getan hatte.
    »Hat mein Zuckerstück sich wehgetan?«
    Die Stimme war süß wie Honig, dennoch fuhr Ruben herum. Auf der Marmortreppe, die in den ersten Stock führte, stand Elisabeth d’Ardevon. Ihre rechte Hand ruhte auf der Balustrade und sie lächelte leicht, aber ihre Augen waren vollkommen ausdruckslos. Ruben fühlte wieder die Anziehungskraft, die ihn beinahe um den Verstand brachte, und er begriff, dass sie diese Wirkung bewusst anwendete. Einen Moment lang widerstand er, versuchte die lockende Stimme aus seinem Kopf zu bannen, aber alles, was er jetzt noch wollte, war ihr zu gefallen. Er spürte, dass es nicht sein eigener Wille war, doch das war ihm gleichgültig. Er fügte sich dem süßen Gefühl der Hingabe und sank auf die Knie.
    Die Comtesse kam auf ihn zu. »Du wolltest hinaus?«, fragte sie und hob mit dem Zeigefinger leicht sein Kinn, sodass er sie anse hen musste. Hinter ihren Augen lag ein sternenloser Nachthimmel.
    Ruben nickte, doch er wusste nicht mehr, wieso er auf die Straße gewollt hatte. Er wollte in ihrer Nähe sein, sie ansehen und ihrer Stimme lauschen.
    Wieder lächelte sie. »Ungeduldiger Junge«, schalt sie ihn milde. »Steh auf und begleite mich. Ich werde dir erzählen, weshalb du hier bist.« Sie wandte sich um und glitt die Treppe hinauf.
    »Ich auch?«, fragte Henri mit zitternder Stimme.
    Die Comtesse sah über die Schulter zurück, ihre Augen nun zwei schwarze, polierte Kugeln in ihren Höhlen. »Du gehst zurück ins Zimmer, Mensch .« Das letzte Wort spuckte sie aus wie einen Bissen verdorbenes Fleisch.
    Ruben hatte keine Zeit, sich zu wundern oder sich nach Henri umzusehen, denn die Comtesse zog ihn mit sich die Treppe hinauf. Da sie ihn nicht mehr anblickte, verflog der Nebel in seinem Kopf, doch der Wunsch, ihr zu gefallen, blieb. Die verletzte Hand presste er gegen sein Hosenbein, um keine Blutspur auf den Stufen zu hinterlassen.
    Im ersten Stock, wo er bisher noch nie gewesen war, führte ihn die Comtesse in einen kreisrunden Raum mit mehreren Sitzgruppen – offensichtlich ein Empfangssalon. Sie setzte sich auf einen zitronengelben Diwan und klopfte neben sich auf das Sitzpolster. Ruben ließ sich mit angehaltenem Atem nieder. Ihr so nahe zu sein, war mehr, als er sich je erträumt hatte, und er fürchtete, durch ungeschicktes Benehmen alles zu verderben.
    Doch ihr Lächeln beruhigte ihn. »Du bist ein bemerkenswerter junger Mann. Ich bin sicher, du besitzt besondere Talente. Was kannst du, das andere nicht können, mein hübscher Kaminkehrer?«
    Ruben zögerte. Er hatte außer Henri noch nie jemandem von seiner Gabe erzählt, und eine innere Stimme riet ihm, es auch jetzt für sich zu behalten. Doch der Wunsch, seine schöne Gönnerin zu beeindrucken, war größer. »Ich kann Verletzungen heilen.« Es auszusprechen, machte ihn stolz.
    Sie seufzte. »Ein Heiler also. Diese Gabe ist sehr selten bei den Unsrigen. Sie macht dich umso wertvoller.«
    Ruben verstand nicht, was sie meinte, aber eine ungeheure Span nung ergriff ihn, und er neigte sich zu ihr, um sich keines ihrer Worte entgehen zu lassen.
    »Du hast mir dein Geheimnis verraten, nun weiß ich, dass ich dir vertrauen kann. Deshalb werde ich dir jetzt etwas erzählen, das seit Langem im Verborgenen liegt, und wenn es bekannt würde, wäre diese Welt nicht mehr dieselbe. Doch du bist einer von uns, und es wird Zeit für dich zu erfahren, woher du kommst.« Sie spielte mit seinen dunklen Locken und drückte ihn sanft nieder, bis sein Kopf in ihrem Schoß ruhte. Der Stoff ihres Kleides war kühl. Ruben schloss die Augen und lauschte.
    »Einstmals beherrschten Engel die Erde«, begann die Comtesse. »Sie waren herrliche Wesen, unsterblich, wild und schön. Die Erde war ihnen untertan, und die Menschen warfen sich vor ihnen auf die Knie. Sie lenkten die Geschicke der Welt, wie es ihnen bestimmt war. Mit ihren mächtigen Zauberkräften belohnten und bestraften sie. Und solange sie herrschten, bestand die Ordnung aller Dinge.«
    Ruben schlug die Augen auf und wollte fragen, ob das ein Märchen sei, doch die Comtesse legte ihm einen Finger auf die Lippen und sprach weiter. »Doch die Zeit bewirkte Entsetzliches. Sie wütete schlimmer als jeder Krieg, denn die Engelsherrscher vergaßen, wer sie waren. Sie verweichlichten, und schließlich glaubten sie sogar, die Menschen wären ihnen ebenbürtig. Statt sie

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