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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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doch alles erklärt.« Julie war erschüttert. »Und du hast gesehen, wie sie wirklich ist. Wie kannst du da zurückkehren wollen?«
    »Jetzt bleibt dir sowieso nichts anderes übrig, als dich uns anzuschließen«, sagte Nicolas. »Falls sie dich je in die Finger bekommt, wird sie dir den Kopf abbeißen.«
    Ruben glich einem in die Enge gedrängten Tier, seine dunklen Augen glänzten im schwachen Schein des Lichts, das aus einzelnen Fenstern des Hauses in den Hof fiel.
    »Bitte vertrau mir«, sagte Julie sanft. »Wir werden über alles sprechen, aber erst müssen wir uns in Sicherheit bringen.« Ruben sah sie ausdruckslos an.
    »Hat nun jemand einen Einfall, wie wir aus der Stadt hinauskommen?«, fragte Nicolas.
    Julie schüttelte den Kopf.
    »Ich«, sagte Fédéric.
    »Tatsächlich?« Nicolas zog diesmal beide Augenbrauen hoch. »Da bin ich aber gespannt.«
    »Ich zeige es euch. Blassnase, wie kommen wir von hier nach St. Marcel?«
    »Ach, der Herr wünschen meine Hilfe?«
    Julie verdrehte die Augen. »Es reicht!« Ohne ein weiteres Wort lief sie los, sollten Fédéric und Nicolas sich doch die Köpfe einschlagen.
    Auf der Straße holte Nicolas sie nach ein paar Schritten ein. »Du bist also entschlossen, Cal herauszufordern?«
    »Niemand hält dich ab, nach Le Havre zu gehen und dort ein Schiff nach Martinique zu nehmen«, entgegnete Julie.
    »Fédéric hätte sicher nichts dagegen, mich aus dem Weg zu haben. Aber so einfach mache ich es ihm nicht.« Nicolas lächelte auf sie herunter, und in Julies Magen kribbelte es plötzlich, als trippelte dort ein kleines Tier herum. »Wo sind wir eigentlich?«, fragte sie, um von ihrem Gesicht abzulenken, das ganz warm geworden war.
    Es war spät, aber die Menschenmenge wurde immer dichter. Gruppen mit blau-weiß-roten Kokarden an Jacke oder Hut zogen durch die Straßen. Etliche waren betrunken und es wurden ganz offen Spottverse auf den König gesungen. Julie würgte, als sie an einer Laterne einen Mann, der die schwarze Kleidung eines Notars trug, hängen sah. Die Zunge quoll ihm dunkel aus dem Mund und sein Haar stand in alle Richtungen, was ihm ein schauerlich-albernes Aussehen verlieh. Eine Gruppe von Bürgerfrauen mit Leinenhauben machte sich ein Vergnügen daraus, mit Steinen auf seinen Kopf zu zielen. »Seht, wie er sich über uns erhebt, der feine Herr!«, kreischte eine, und ihre Begleiterinnen kicherten. Julie wandte sich ab.
    »Sind denn alle verrückt geworden?«, murmelte sie und streichelte Songe, die um ihren Hals lag wie ein Pelzkragen.
    »Das Volk lässt sich nichts mehr vorschreiben; es entscheidet jetzt selbst, was Recht und Unrecht ist«, sagte Nicolas ironisch.
    Julie antwortete nicht. So hatten sich Gabrielle und Jacques Lagarde die neue Zeit bestimmt nicht vorgestellt.
    Nicolas fuhr fort: »Noch zögert der König, seine Truppen in Paris einmarschieren zu lassen. Doch Cal Savéan wird mit seinen Einflüsterungen nicht aufhören.«
    Julies Kopf fuhr zu ihm herum. »Was hat er mit dem König zu tun?«
    »Der Erzengel ist der engste Berater unseres geliebten Louis. Und wenn er ihn erst überredet hat, den Aufruhr mit Musketen und Kanonen zu beenden, werden die Cherubim die neue Ordnungsmacht in Paris. Meine Mutter kann es kaum abwarten, ihre kleinen Lieblinge auf die Menschheit loszulassen.«
    Julie wusste nicht, was sie von all dem halten sollte. Sie war in dem Glauben erzogen worden, dass die Vernunft sich durchsetzte, wenn man Menschen nicht wie unmündige Kinder behandelte, und dass Tyrannei und Willkür sich dann von selbst abschaffen würden. Doch an der Laterne hinter ihr baumelte der Gegenbeweis. Die Seraphim würden erst recht keine Gnade kennen, sollten sie die Herrschaft übernehmen. So weit durfte es niemals kommen. In Gedanken versunken ging sie zwischen Nicolas und Fédéric, bis Ersterer verkündete: »So, hier wären wir auf der Place de Grève.«
    Sie hatten einen weiten Platz erreicht, auf dem es von Menschen wimmelte. Die Szenerie lag zum Großteil im Dunkel, Splitter von eingeworfenen Laternen knirschten unter Julies Füßen. In der Menge tanzten nur wenige Lichter hin und her, in ihrer Nähe warf das Feuer eines Kastanienrösters einen roten Lichtschein über die Gesichter. Nicolas bahnte einen Weg für Julie, und sie war froh, dass Ruben und Henri dicht hinter ihr gingen. Sie fühlte sich an die Menschenmenge von St. Médard erinnert – dieser Tag schien ein ganzes Leben zurückzuliegen.
    Die Leute auf dem Platz feierten. Eine alte

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