Die Prophezeiung der Steine
Wasser geschaffen hatte und die wie Statuen von Menschen aussahen, von Tieren und sogar Bäumen, wahre Wunderwerke. Eine Form bestaunte ich am meisten, denn sie stellte ein Schiff dar wie jene, die in der Stadt im Hafen lagen.
Der Höhlenbewohner brachte uns dorthin, wobei er ein Lied von Glück und Flucht sang. Denn es war tatsächlich ein Schiff, ein weit vom See entfernt gestrandetes Boot ohne Anzeichen von Feuchtigkeit oder Fäulnis, obwohl es doch von dem steinernen Gewächs, aus dem die Säulen und Statuen bestanden, hätte überzogen sein müssen. Wer hatte es dort stranden lassen? Es gab zwar Menschen, die in der Vergangenheit ihre Kriegsherren in Booten bestattet hatten, aber dieses hier war leer.
Safred legte ihre Hand darauf. »Auf diesem Boot liegt ein Bann«, sagte sie. »Ein Bann des Vergessens. Es hat den Ozean vergessen, den Fluss, hat überhaupt die Bedeutung von Wasser vergessen.«
Dann ging sie zum See, schöpfte mit den Händen Wasser daraus und goss es über den Bug des Boots, vielleicht so, wie man einem Baby sanft den Kopf wäscht. Das Boot erbebte. Ich würde sagen, es erwachte wieder zum Leben, doch es war ja bloß ein Gegenstand aus Holz und Stoff und Pech. Aber es bewegte sich in Richtung des Sees, wie aus langer Gefangenschaft befreit, und klatschte schließlich freudig in das milchige Wasser.
Dann wartete es ruhig, während wir uns von dem Höhlenbewohner verabschiedeten und an Bord gingen. Safred sang unseren Dank.
Sie legte die Hand auf das Boot und sagte: »Mein Bruder, bringe uns ans Licht.«
Lautlos glitt das Boot in die Strömung.
Wir glitten leuchtend weiße Wasserstraßen entlang. Farblose Fische lebten in den Gewässern, blind wie die Höhlenbewohner. Das flüsternde Geräusch, mit dem das Wasser gegen den Rumpf des Bootes schwappte, war beruhigend, und ich schlief, zum ersten Mal seit anderthalb Tagen, soweit mich mein Gefühl für die Zeit nicht trog. Vielleicht schlief Safred auch. Hier brauchte ich sie nicht zu beschützen.
Wir glitten durch eine ruhige Strömung und nahmen immer mehr Fahrt auf, bis wir in ein Gebiet mit schroffen Felsen gelangten, von denen wir das Boot bei jeder Biegung fernhalten mussten. Zweimal aßen wir etwas und schliefen abwechselnd, bis wir sahen, dass das Licht im Wasser weniger wurde. Ich entzündete die Laternen am Bug und Heck des Bootes. So setzten wir unseren Weg fort, eine Insel des Lichts in der Dunkelheit, bis wir in der Ferne Tageslicht sahen.
So fuhren wir aus den Bergen in ein fremdes Land hinein, auf einem Fluss, den wir noch nie gesehen hatten. Safred
sank in meine Arme, und als wir wieder ans Licht kamen, weinten wir gemeinsam. Am Ufer standen Fischer.
Das ist die erste Geschichte von Safred, der Tochter meiner Schwester. All ihre anderen Geschichten können andere erzählen, denn ihr Leben war ein öffentliches Leben, und ihre Taten sind allen bekannt. Diese Geschichte jedoch konnte nur ich, Cael, erzählen, denn ich war dabei, und ich schwöre euch, dass es die Wahrheit ist, was ich euch erzähle.
Ash
»Die Spitze dieses Grats dort, das ist die Grenze zum Golden Valley«, sagte Martine erleichtert.
Ash nickte. Auch er würde erleichtert sein, wenn sie aus der Cliff Domain heraus wären. Das wochenlange Wandern war immer wieder durch Begegnungen mit bewaffneten Banden unterbrochen worden, die nach Süden ritten oder gingen und alle anderen dabei von der Straße oder dem Weg abdrängten. Es handelte sich nicht ausschließlich um Männer des Kriegsherrn. Zwar wurden diese Banden für gewöhnlich von zwei oder drei seiner Gefolgsleute angeführt, in der Mehrzahl aber bestanden sie aus gewöhnlichen jungen Männern, die nach ihrem Aussehen zu urteilen und der ungelenken Art, wie sie ihre Spieße und Schilde trugen, Bauern waren. Der Kriegsherr der Cliff Domain plante entweder einen Krieg oder rechnete mit einem Angriff aus dem Süden.
»Sie ziehen ihre ganzen Leute aus den Bergen ab«, hatte Martine vor einer Woche festgestellt. »Hoffentlich erfährt der Eiskönig nichts davon. Sonst kommt er im Nu mit seinen Truppen über die Berge.«
»Geschieht das denn immer noch?«, fragte Ash. »Ich dachte, das Eisvolk wäre inzwischen friedlich.«
Martine schwieg einen Moment. »Der letzte Angriff fand vor zwanzig Jahren statt«, sagte sie langsam. »Es war … übel.
Seitdem wird die Grenze schwer bewacht. Wer weiß, was sonst passieren würde.«
Jedes Mal, wenn sie den marschierenden Männern begegneten, wurde ihr unbehaglich
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